Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

DOI Heft:
Nummer 3 (Erstes Maiheft 1914)
DOI Artikel:
Čapek, Josef: Moderne Architektur
DOI Artikel:
Apollinaire, Guillaume: Rotsoge: Au peintre Chagall
DOI Artikel:
Frey, Alexander M.: Cordelia
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0023
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Es ist unzweifeHiaft, daß die Architektur sich auf
eine neue positive Praxis steüt und daß sie sich
durch den Wert der vorhergehenden Entwick-
iungsstadien und des durch die Quaiität und des
gegenwärtigen Standes zu den ersten „Stan-
dards" im heutigen Aufschwunge der biidenden
K&nste zureiht. Diese neue Form ist fähig unserem
Qefühi und InteHekte dieseiben Qenüsse zu geben
wie die anderen biidenden Künste, und auch sie ist
ein wichtiges und iegitimes Manifest des modernen
Qeistes.

Josef Capek

Rotsoge

Au peintre Chagaii

Ton visage ecariate ton bipian transformabie en

hydropian

Ta maison ronde oü ii nage un hareng saur
!I me faut !a c!ef des paupieres
Heureusement que nous avons vu M. Panado
Et nous sommes tranquiHes de ce cöte !ä
Qu'est-ce que tu veux mon vieux M. D.

90 ou 324 un homme en fair un veau qui regarde
ä travers le ventre de sa mere
J'ai cherche longtemps ?ur )es routes
Tant d'yeux sont c!os au bord des routes
Le vent fait pleurer !es saussaies
Ouvre ouvre ouvre ouvre ouvre
pegarde mais regarde donc
Le vieux se !avc !es pieds dans !a cuvette
Une vo!ta ho inteso dire Ach du Heber Jott
Et ie me pris ä pleurcr en me souvenant de nos

enfances

Et toi tu me montres un vio!et epouvantable
Ce petit tab!eau oü i! y a unc voiture m'a rappe!ö

le jour

Un jour fait de morceaux mauves jaunes b!eus verts

et rouges

Oü je m'en aüais ä !a cämpagne avec une char-
mante cheminee tenant sa chienne en !aisse
J'avais un mirliton que je n'aurais pas echangö
contre un bäton de marecha! de France
H H*y en ä plus je n'ai p!us mon petit mirüton
La cheminde fume Ioin de moi des cigarettes russes
Sa chienne aboie contre !es !i!as
Et !a veiüeuse consumde
Snr !a robe ont chu des peta!es
Denx anneaux d'or pres des sandales
An solei! se lont aüumds
Tandis que tes cheveux sont comme !e troüey
A travers I'Europe vetue de petits feux mu!tico!ores

Guiüaume ApoHinaire

Cordeüa

A. M. Frey

Andreas und seine Frau versäumten das letzte
Schiff. Sie rannten beidc den end!osen Steg ent-
!ang. Andreas hörte immer neben sich den weißen
Leinenrock seincr Frau g!eichmäßig schneü auf-
ranschen und wußte doch schon, ohne den Lauf
hemmen zu können, daß sie zu spät kamen. Nun
waren sie am Eude der Brücke, und das Rauschen
des Leinenrockes verstummte, um, kaum erstor-
ben, in genau demse!ben Rhythmus g!eich wieder
acfgenommen zu werden, von neuem aufzu!eben
in dem feuchten K!atschen der Dampferräder, die
ihre ersten Umdrehungen machten und kalte
Spritzer, die dennoch zu kochen schienen, empor-
sandten. Schaumiges Qekräuse! warf sich zwi-
schen Steg und Dampfer.

Andreas glaubte seine Frau ha!ten zu müssen,
so nah trat sie an das Wasser, so weit beugte
sie sich vor. Sie hob die Hand — der Dampfer
entglitt ihr. Sie schien geneigt, die schaumige
Wasserüäche zu betreten und weiter zu !aufen.
Das Schiff drehte g!eichgü!tig sein Hintertei! wie
ein schwerfäüiges Tier der Landseite zu, es zeigte
ein rotes und ein grünes Licht, es entwich ganz
unbeirrt in die Dunkelheit. Die Frau stampfte mit
dem Fuße auf. Es klang, a!s untcrdrücke sie ein
Schluchzen.

Der Maler, bei dem Andreas und seine Frau
den Tag über zu Besuch gewesen waren, kam her-
an. Er war langsam gegangen, er sagte: „Es nützt
nichts, Ihr müßt beide heute nacht hier bieiben."

Andreas bcratschiagte mit ihm. Das k!eine
Qasthaus des Ortes war mit Sommerfrischlern ge-
füüt.. Der Ma!er selbst hatte nur P!atz für sich.
Auch schien es zu so vorgerückter Stunde nicht
mehr mögüch, bei den Bauern, die aüe früh schla-
fen gingen, nach Betten zu suchen.

Die Frau beteüigte sich nicht an den Ueber-
iegungen. Sie sah auf die dunk!e SeeHäche hinaus.
„Wetin ich wiü, komm ich heute doch noch hin-
über," sagte sie nur.

„!m Kahn", entgegnete der Ma!er, „wenn Sie
drei Stunden rudern woüen. Und was tun Sie
drüben? Den Anschluß an den Zug in die Stadt
haben Sie !ängst verpaßt. — Aber ich wüßte vie!-
ieicht cin Unterkommen für Euch, das in dieser
warmen Sommernacht woh! angeht. Uebernachtet
auf meinem Segelboot. Ihr kennt die Kajüte der
Cordeüa. Sie hat Raum und Po!ster genug für
zwei. Ich kann Euch ein paar Decken mitgeben,
aber Ihr werdet sie kaum braucimn. Der See
b!eibt ruhig, das ist gewiß."

Andreas sah zweifelnd auf seine Frau. Sie
zuckte die Achseln, aber ihr Gesicht lieüte sich auf,
wie er trotz der Dunke!heit zu bemerken g!aubte.
„Mir ist es recht," sagte sie endüch.

Sie holten Dccken und noch eine Kleinigkeit
zu essen. Die Männer Üeßen das Beiboot zu
Wasser. Die Frau stand untätig daneben, sah in
die Ferne. — „Wissen Sie, wer auf dem versäum-
ten Dampfer war?" fragte der Ma!er.

„Nein," sagte sie, aber es k!ang, a!s meinte sie:
ich weiß es wohL

„Sie sahen dem Schiff nach, a!s entgütte mit
ihm das G!ück," sagte der Maler.

Andreas und seine Frau stiegen in das Boot.
Sie stießen vom Lande.

„Vieüeicht war ein Freund auf dem Dampfer,"
rief die Frau dem Zurückbleibenden zu, „vieüeicht
ein Alensch, der mich üeb gehabt hat."

Andreas ruderte Iangsam. Er sah den Freund
zwischen Ufergebüsch verschwinden und er
wußte nun keinen Menschen mehr in der Nähe,
ausgenommen die Frau vor sich. Ihr heües K!eid
leuchtete, trotzdem See und Himme! sehr dunkel
waren — !euchtete so, als breche ka!tes, weißes
Licht daraus hervor.

Andreas Iieß die Ruder entgleiten. „Was hast
du eben gesagt," meinte er. „We!cher Mann
könnte dich mehr üeben, als ich." Er sah in das
Gesicht seiner Frau, so dringend in das nahe, daß
jede Form sich ihm verwischte, wie aufgelöst
unter ätzender Säure.

„Ich habe nichts von einem Manne gesagt. Ich
sagte: ein Mensch," entgegnete sie eintönig und
schaute zum HimmeL — „Dort kommen Sterne
heraus," setzte sie dann hinzu.

Er sah empor und griff wieder zu den Rudern.
Sie gütten neben die Cordelia, die an der Schi!f-
grenze vor Anker !ag. Sie schwangen sich auf
Deck und störten das Schiff in seiner Ruhe, das
plötzüc!) ganz wach wurde, an seiner Kette zerrte.

weich und haHend polterte, hoch oben ächzte, tief
unten g!ukste.

Die Frat: saß auf dem Kajiitenbau. Sie starrte
seewärts ins Dunkle. „Und auch das habe ich ge-
sagt: Wenn ich wiH, komm ich heute noch hin-
über. Aber ich wiü nicht. — Andreas, ich üebe
nur dich." Und sie hielt ihm ihr weißes Qe-
sicht hin.

Andreas ktißte es wie etwas Rätse!haftes, das
g!eich sich verwande!n wird — in Stein, in ein
Tuch, in weißen Rauch des Wassers.

Sie umscldang ihn, sie beugte sich vor, sank in
die Kniee und zwäng auch ihn, ein g!eiches zu
tun. Sie sprach in das Wasser hinein: „Wenn
wir beide dort unten !ägen, Andreas, mit einem
Strick um die Leiber, wie die törichten Liebes-
paare."

„Mit s o! c h e m Strick um die Leiber," sagtc
Andreas und !egtc seine Arme um ihre Hüften.

„Es wäre vieüeicht schön — es wäre gut dort
unten," meinte sie.

„Was für Qedanken, Kind. Wir woüen doch
!eben. — Qut: weshalb?" fragte er.

Sie sah immer noch hinunter. „Es wäre etwas
Endgiütiges. — Laß mich !os," bat sie und stand
auf. —

„WiHst du schlafen, Liebste; wiüst du es dir
bequem machen?" fragte er. „Zieh dich aus. We-
nigstens die Schuhe leg ab."

Sie dchnte sich. „Nicht einma! die SegeMuch-
schuhe zieh ich aus," entschied sie. „Ich bin frei
genug, mir ist nicht eng. Sctdafen: ja. Wie müde
uns Städter die Sonne macht, die feuchte Luft und
der Wind aus den Wäldern."

„Warum sagst du: der Wind aus den Wäl-
dern," fragte Andreas und rückte die Polster in
der Kajüte zurecht. „Warum nicht einrach: der
Wind? Wo sind hier Wälder?"

„Der Wind aus den Wäldern," wiederhoite sie,
kam die k!eine Treppe herab und sank auf die
Polster der einen Schiffsseite. „Das klingt einfach
und groß. Mögen hier keine Wä!der an den Ufern
sein. Der Wind aus den Wäldern ist für mich da.
er ist schön, er ist mit Sehnsucht beschwert. Er
macht müde. — Qute Nacht, Andreas. Nein, keine
Decke. Qute Nacht."

Andreas legte sich auf die andere Seite in der
Kajüte und mußte darüber nachdenken, daß er mit
dieser Frau zwei Jahre verheiratet war, daß er
keine Kinder von ihr besaß und daß sie einst aus
Liebe sich zusammengetan hatten. Er mußte auch
darüber nachsinnen, wie woh! der Nagel ihres klei-
nen Fingers geformt sein mochte, dessen Aussehen
ihm ganz entschwunden war. Er hatte ihn gewiß
schon ungezäh!te Ma!e berührt, gestreichelt, ge-
küßt. Er woüte aufstehen, um ihn anzuschauen.
aber er merkte von seinem Platze aus, daß sie die
Hände verstrickt und unter ihre b!onden Fiechten
geschoben hatte. Bevor er einschlief, kam ihm
:n den Sinn, ob nicht vieüeicht Vie!es an dieser
Frau ihm gerade so fremd sei, wie ihr Kleinfinger-
nage!. So fern. AHes vieüeicht.

Er wachte auf mitten in der Nacht. Er hob
die Lider. Schräg über ihm war die offene Luke
der Kajtite. Er sah den Himme! über sich. Durch
offene Kajütentüren trug ihm ein Stern die We!t
herein. Er sch!oß ha!b die Augen — und ein
gleißendes Band, aus Nacht und Si!ber gehämmert.
Hoß aus dem Stern mitten in seinen Bück. Feuer
sprang ihn an auf gestraffter Bahn, verband seine
We!t hier innen mit der fernsten We!t.

Ein Schatten quol! über die offene Luke. Ver-
mummte Stöße über seinem Kopf. Weiche
Schritte über ihm. Er sah hinüber, dorthin, wo
seine Frau sich gebettet hatte, und er sah sie nicht
mehr.
 
Annotationen