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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 3 (Erstes Maiheft 1914)
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Frey, Alexander M.: Cordelia
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0024

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Er stand aut und Momm die paar steilen Stu-
!en hinan. Er tauchte in die Nachtiuft, und — nach
der Enge des Raumes dort unten — fiei ihm die
Weite der Wasscrfiäche überwäitigend und
woilüstig an. Er gab sich diesen ungezählten See-
meilen hin. Er atmete berauscht und wiiienios.

Er sah seine Frau am Großbaum kauern. „Was
tust du?" fragte er.

„Ich wiii baden. Es ist so warm," sagte sie und
streifte die Schuhe ab. „Steü sie dort hin," befahi
sie und kieidete sich weiter aus.

Er steüte die Schuhe neben den Großbaum, auf
sorgsam geroiites Takelwerk.

Er trat zurück, hob den Biick. Nackt stand sie,
berieseit vom biauen Licht der Sterne. Andreas
giaubte, sie haiten zu müssen, so nah trat sie an
Bord. so weit beugte sie sich vor. Sie reckte
die Hand, sie schütteite seinen Griff ab von ihrem
Arm. „Ich wiH hinunter," sagte sie.

Und sie sprang. Sie zerstörte den Wasser-
spiegei, der wie poiiertes Hoiz unter dem Nacht-
himme! iag. Ihr Körper hackte ein Loch hinein.
Ein feuchtes Kiatschcn, uugeheuer in dicse Stiiie
hineingeworfen, eroberte sich das ganze schwei-
gende Gestade.

„Ich komme zu dir," sägte Andrcas und warf
den Rock ab.

„Bieib, wo du bist," befahi sie und schwamm
hinaus und kam wieder zurück. Dicht unter seinen
Augen, ganz nahe der Schiffswand, tauchte sie
zur Tiefe und verschwand.

Andreas stand und wartete. Die Seefläche war
leer. Hundertfäitig war sie belebt gewesen durch
den einen sich windenden Körper. Nun war sie
lerr, a!t, erstorben, seit hundert Jahren tot. Immer
sah Andreas auf dic Stciie, wo scine Frau ver-
sunken war. Er mußte Iange warten. Um etwas
zu tun, um die Zeit, die ihn anstarrte und bclau-
erte, zu überiisten, zog er seinen Rock wieder an
und kramte in den Taschen.

Endiicit tauchte sie auf. Ihrbiondcs Haar, trie-
fend und verdunkeit, durcbbrach mit einem Ruck
den schwarzen Spiegei.

„Ich war tief unten," sagte sie. „Ich habe den
großen, schweren Bleikiel in Händen gehabt. Ich
war noch tiefer als der Kiel. Das Wasser ist lau,
selbst dort unten. Das Blei aber ist kühier als
das Wasser. Ich habe mich so gelegt — dort
unten — daß mein Rücken sich an den Bieikiel
schmiegte. Ich erschauerte unter seiner brennen-
den Kälte. Ic!i !ag unter ihm, ich schwebte unter
ihm, ich trug ihn, ich trug das ganze Schiff. Ich
seibst war das Schiff. Ich trug dich, Andreas."

„Komm herauf, du Schiff," sagte er lächelnd.
Ihm fiel ein, daß er vor Stunden begierig danach
gewesen war, den Nage! ihres Meinen Fingers zu
sehen. „Gib mir dic Hand," bat er. „Ich helfe
dir an Deck."

„Ich v/ill im Wasser bleiben," sagte sie und
glitt zurück und verschwand an der gleichen
SteHe, wie vorhin.

Andreas wartete wieder. Die Zeit starrte ihn
an, lauernd und lang — unvcrwandt. Wer ist die
Fremde, dachte Andreas, die da unter mir taucht
und sich windet und für einen Bleikiel zärtliche
Worte hat, wie für einen Geliebten? — Nichts
regte sich. Nur die Zeit starrte ihn an.

Andreas Iieß die Stelle, wo seine Frau ver-
schwunden war, nicht aus den Augen. Aber vom
anderen Schiffsbord her, der dem SchHfe zuge-
wandt Iag, drang ein Plätschern. Mit drei Schrit-
ten war Andreas drüben.

Sie durchbrach den ebenhölzernen Spiegel mit
verdunkelten, triefenden Haaren. Sie hatte SchHf
in ihnen. Es war, als seien ihre Haare Schilf.

„Komm herauf, du Schiff Cordilia," sagte er.

Windstöße rausehten kurz in den Binsen. Das
Rauschen starb — und es lebte wieder äuf im
Wasser, ward in genau dcmselben Khythmus wie-
der geboren, dort, wo die Frau mit heftigen Stö-
ßen schwamm, — so behende, daß Qischtwellen
uniter ihrer vorwärtsdrängenden Brust aufbran-
deten. Schaumiges Gekräusel warf sich zwischen
das Boot und sie.

„Lilith," rief er ihr nach.

„Ich heiße Lili," kam es zurück.

„Lilith, Adams erste Frau," rief Andreas.

„Bist du der Stammvater der Menschen,"
Iachte sie und hielt im Rudern inne. Und legte
sich platt auf den See.

Andreas spähte nach ihr hin. „Du willst nicht
zu mir kommen. Ich darf nicht zu dir kommen,"
klagte er. Sein Kopf fiel vornüber. Er saß zu-
sammengekauert. Er weinte. Sein Schluchzen
fuhr über die Fläche.

Die Frau lag rücklings auf dem Wasser. Ihre
Brüste stachen in den Sternenhimmel. Und sie
lachte.

Und Weinen des Mannes und Lachen der Frau
kreuzten sich und klangen zusammen und wurden
eine große, unbegreifliche Melodie.

Es fing zu dämmern an. Sie schwamm in lang-
samen Stößen herbei.

„Der Morgen kommt," sagte sie, „und ich bin
müde." — Sie hob sich empor und umklammerte
mit tropfenden Fingern den niederen Bord.

Andreas stand auf. 1hm fiel ein, daß er noch
immer nicht ihren kleinen Fingernagel geprüft
hatte.

„Gib mir die Hand," sagte er. „Ich helfe dir
an Deck."

Sie reichte ihm eisige Finger. Er bückte sich
und besah den Nagel. Er war blau, er war grün,
wie eine glänzende Schuppe.

Er ließ ihre Hand fahren. „Du Fisch," sagte
er Iangsam und kalt. „Untier du, du fremdes
Tier."

„Ich bin matt, Andreas, hilf mir hinauf," kam
es vom Wasserspiegel.

„Du fremdes Tier," sagte Andreas überlegen
und böse. Haß versteinerte ihn. Er trat ihr auf
die eisigen Finger, mit iedem Fuß auf fünf.

„Laß los, du Tier," sagte er.

Sie sank lautlos zurück, mit offenem Munde.
Das Wasser schloß sich über einem schilfbehaar-
ten Haupt.

Aber es tauchte wieder auf, weit schon drau-
ßen. Andreas sah es. Er erwachte aus einer
bösen und dumpfen Welt, in der er eben gelebt
hätte. „Cordeiia," rief er, „willst du nicht zu mir
kommen, darf ich nicht zu dir kommen?"

„Ich heiße Lili," hallte es über die Fläche.

„Lilith," rief er zurück.

„Adams erste Frau. Du läufst im Kreis, An-
dreas. — Andreas, wenn ich will, komm ich doch
noch hintiber."

Da fiel er nieder. Er umklammerte den Mast
wie einen Menschenkörper. „Lilith, ich hab dich
lieb," sagte er.

„Die sich lieben, sind sich am femsten," kam
ihre Stimme schon ganz von weitem zu ihm. Und
sie tauchte zum Qrunde.

Doch er konnte ihr mit den Augen folgen.
Seine Augen trugen wie die eines Raubvogels.
Kristall wurde das Wasser. Er sah sie schwim-
men mit sausenden Stößen einer Robbe — tiefen-
wärts. Viele Klafter tief. Er sah alles. Er hing
mitsamt dem Schiff über dem kristallnen Abgrnnd
wie mitten in der Luft.

Immer noch ruderte sie und immer zur Tiefe.
Er verlor sie nicht. Seine Blicke flogen dicht hin-
ter ihr her. Da stieß sie an Felsenkammern. Da
verschwand sle.

Die Sonne ging auf. Andreas hob den BHck.
Ein Berg brannte. Andreas schaute hin. Lilith
war in dem Berg. Der Berg war Lilith. ihre
steinernen Schenkel wuchsen aus dem See. Gran
war ihr Leib, umlagert von Frühnebeln. Aber ihr
Haar brannte in der Sonne.

„Lilith," sagte Andreas, „du fern — fremd —
und unsagbar geliebt. Und unsagbar gehaßt."

Er schioß halb die Lider — und ein kupfernes
Band floß aus dem Haar der Frau herab vom Berg
mitten in sein Auge. Auf gestraffter Bahn sprang
Feuer ihm zu, bergab viele MeHen, über den ganzen
See und auf das Schiff. Es verband ihn Feuer mit
der fernsten Ferne.

Er setzte sich nieder, an den Mast gelehnt. Er
sah unverwandt in ein schimmerndes Riesenhaupt.

Der Maler schiittelte ihn wach. Die Sonne
stand hoch iiber den Bergen.

„Andreas, steh auf," sagte der Maler. „Wie
kann man so lange schlafen. Deine Frau ist schon
an Land gegangen."

„Meine Frau liegt unten in der Kajüte," entgeg-
nete Andreas. „Sie hat gebadet heute Nacht. Sie
wird miide davon sein. Auch sie wird noch schla-
fen wollen."

„Längst ist sie von Bord," wiederholte der
Maler.

„Dort stehen ihre Schuhe," sagte nur Andreas.
„Ich sah ihr zu beim Baden. Sie weckte mich.
Ich blieb hier oben, unten war es mir zu heiß. An
den Mast gelehnt, bin ich wieder eingeschlafen."

„Das Beiboot ist fort," entgegnete der Freund.
„Und deine Frau ist auch fort. Sie ist nicht in der
Kajüte, tiberzeuge dich selbst. Ich weiß nicht, an
welcher Stelle sie an Land gegangen ist. I* das
Dorf ist sie nicht gekommen."

Andreas stand auf. Er sah sich um. Er sah
Segeltuchschuhe auf sorgsam gerolltem Tanwerk.
„So ist sie barfuß in die Welt gegangen," sagte er.
Und der Maler begriff nieht, was jenen plötzlich auf
die Knie warf und flehen machte: „Hilf mir sie
suchen."

„Sie wird wohl nicht schwer zu finden sein,"
tröstete der Freund Andreas wie einen Kranken.

Sie ruderten beide ans Ufer in dem Kahn, in
welchem der Maler gekommen war: Sie forschten
im Dorfe, auf den Dampfern, an der Bahnstation.
Sie telephonierten in die Stadt. AHes vergebens.

„Sie ist ertrunken heute nacht im See beim
baden," sagte Andreas. „Ich muß das UnheH ver-
schlafen haben. Man wird den Seegrtmd im Um-
kreis der Cordelia absuchen müssen."

Sie gingen, um Fischer anzuwerben für diesen
Fischzug. Unterwegs, mitten auf einer bienenüber-
summten Wiese, blieb der Maler stehen und legte
seine Hand auf des Freundes Schulter. Das große
Summen um ihn her gab ihm Kraft und Ruhe für
seine gefährlichen Worte. Er sagte behutsam:
„Deine Frau ist wohl nicht ertrunken. Wo sind
ihre Kleider, die sie vor dem Bade doch abgelegt
hat? — Deine Frau ist auf und davon. Sie zieht
einem Glück nach, das gestern abend aui dem ent-
schwindeüden Dampfer an der Reling lehnte und
zu uns herübersah."

„Wen meinst du?" fragte Andreas.

„Den jungen Bildhauer, mit dem sie letzten
Winter oft in Gesellschaft zusammentraf. Sie sah
ihn gern. Er war seit kurzem hier ansässig, er hat
alles wieder verkauft, er zieht nach Norden. Sie
vielleicht wie eine Nachtwandlerin hinter dem
Glücke her."

„Nein," sagte Andreas, „ieh glaube das nicht."
— Ich habe alles geträumt, was heute nacht ge-
schah, dachte er. — Ich träume noch. Wach auf,
Andreas, wach doch auf.

Die Fischer fanden nichts. Die Telegramme
brachten sie nicht herbei. Die Fragen in den Zei-

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