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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Sechstes Heft (September 1916)
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Baum, Peter: Kyland
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0069
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breiten zu lassen. Bis dahin war es immer schon
Sitte, daß ein König ein ersonnenes Lied oder ein
Götterspiei vor der Menge tönen und reigen iieß.
Es gab Dichter, die mit dem Namen eines ver-
storbenen Königs ihre beschriebenen Tafeln
fälschten und gerne im Dunkel biieben, damit ihr
Werk Beifail fand. Aber es gab Gedanken und
Kenntnisse, die die Könige, die obersten Krieger
und Priester am besten nur in der Priesterschrift
aufzeichneten.
Der getötete König war nicht nur ein schwer-
mütiger Dichter und wissender Pflanzen- und
Tierfreund. Seine Neugier trieb ihn dazu, die
Sitten vieler Völker zu sammeln. Einst, in einem
andern Erdstrich, waren die Frauen ebenso wie
bei den umliegenden Völkern wohlverborgene Ge-
heimnisse. Sie wurden viel besungen und selten
gesehn, bis Kylands Bewohner auf die Wander-
rundfahrt zogen und, nachdem sie viele Völker
überfallen hatten, hier blieben. Der Pest der Ein-
geborenen, die nicht das Schwert vertilgte, blieb
im Lande wohnen. Es war ein Zaubervolk ge-
wesen, und sie wurden — als Sklaven — Gaukler,
Tänzer und Tänzerinnen. Eine gewisse aber-
gläubische Furcht umgab noch einige von ihnen,
die durch die milde Sklaverei nicht beschwich-
tigt wurden und stille brüteten. Die Dichter be-
sangen seither aber die leicht zugänglichen
Schönen, bei denen man daran gedacht hatte, sie
zu verbergen. Sie sassen gerne umschlungen mit
ihnen unter schattendem Dickichtgezweig eines
Baumes, Blumen im Haar und die begeisternde
Schale an beider Munde.
Als der vom Volk getötete König zur Herr-
schaft kam, erhob er die Tochter des einstigen
Königs zur Gemahlin. Bald darauf befahl er, daß
die einstigen Vornehmen des Landes den Unter-
tanen gleichgeachtet seien. Nur verbot er die
Heirat der beiden Vöiker unter einander, weil die
Götter lehren, daß das Blut zweier Völker, der
weissen und der braunen Haut, in einem Men-
schen nicht zu gleichen Zielen fliegt und den Men-
schen zum segel- und ruderlos schwankenden
Schiff macht. Die sich blähenden Flügel des
Schiffes waren eine Erfindung der Kyer. Sie wurde
später wieder vergessen.
Nur sein heiliges Königsblut mag sich immer
dem fremden gesellen, denn es bleibt das Ge-
bietende und schleudert das Dienende mit sich
fort, ebenso wie der Gott mit seinen vielen Händen
auf seinem Fluge die Sterne vor sich her schleu-
dert.
Das war die Lehre des Königs, die er dem
murrenden Volke durch seine Priester verkünden
ließ. Doch hatte es mehrere Jahre gedauert, ehe
man sich beruhigte. In den wenigen Jahren ver-
wandelten sich die Sitten und Anschauungen des
Volkes. Durch den Umgang mit Frauen, die in
ihren Augen nnberührbar waren, entstand bei den
leicht schwärmerisch ausschweifenden Kyern eine
Frauenverehrung, unter der die leicht zugäng-
lichen Töchter, die unten blieben, tief im Anschn
sanken. Man unterschied unter der hohen und
flachen Liebe und man verachtete die kleinen
Dirnen, wenn man sie auch immer noch gern
besang.
Als der König befahl, daß von nun an die
Frauen des Kylands überall an den Gesprächen
der Männer teilhaben und öffentlich erscheinen
durften, erregte es nur Beifall. Man war für diese
Aenderung reif geworden.
Bis zur Herrschaft dieses Königs waren die
Handwerker bei den Kyleuten wenig geachtet,
fast als Sklaven angesehn. Waffenübungen, Nach-
denken, Forschen und Singen war eines Mannes
würdige Beschäftigung. Wer Bildwerke schuf,

mußte mühsam mit der Hand arbeiten. Wenn auch
sein Geist im Holze tätig ist, seine Hand wurde
ungeschlacht breit, und die Kyer waren ein Volk
von Vornehmen. König Viro erhob die ausge-
zeichnetsten Rundbildner zu seinem täglichen Um-
gang, was einen Glanz auf den ganzen Stand
warf.
Er war immer leicht bewegt von dem Winde
der Worte, und sein Auge suchte immer den Klang
alles durch Menschengeist mit der Hand Ge-
stalteten. Die Pundbildner waren bald fast den
verehrten Malern gleich in der Meinung der Kyer.
Er war ein Liebhaber der Frauen und wollte
sie, wie die Falter, immer in der Freiheit sehen.
Das Volk war zuerst stolz auf ihn, als er beim
Besteigen des Trones „das Zwielicht in den
Zweigen des Kastierbaumes" vortrug. Er war da-
mals sofort ein gefeierter Dichter.
Er hatte das Kopfschütteln und den Zorn der
Priester geweckt, als er die geheimen Schriften
über Gott und die Götter unter die Menge warf,
die nur die bunten Bilder am Saume des Vor-
hangs, der ihn ins Dunkel verbarg, ergötzen
durften.
Als Gott müde wurde und sich des Herum-
tollens mit den Silberbällen am Himmel schämte,
ließ er sich auf eine Schneewolke, die sich am
Ufer des Blaus wölbte, nieder, und im Betrachten
der Krystallgebilde ging ihm die Mathematik auf.
Da war es, als er lauter Kreise und Ellipsen am
Himmel aufzeichnete und den Sternen ihre Bahn
berechnete.
Als er sich dann nach tausend Jahren wieder
im Blau spiegelte, sah er, daß er die Vieltausend
Arme bis auf zwei verloren hatte und nur noch
ein Haupt trug. Und im Betrachten seines
Antlitzes entdeckte er die Schönheit. Ihn quälte
seitdem das vielgestaltige Göttergewimmel, das
er am Rande des Weltalls geschaffen hatte, und
das er nicht mehr vertilgen konnte. Und er stieg
zur Erde nieder, um den Menschen aus dem
Wirrwarr der Pflanzen, Tiere und aller der un-
vollkommenen Formen zu erlösen. Damals sagte
man, daß er sein Volk mit dem Tau des Himmels
tränke.
Aber er grub mit dem Eisen seinen Untergang
in die Holztafel, als er die Sitten verschiedener
Völker äufzeichnete.
Priesterschüler zogen schon immer auf die
Wanderschaft, und was sie berichteten, wenn sie
wiederkamen, wurde von den Priestern aufbe-
wahrt. Nur ein Teil der Berichte wurde unter dem
Volke verbreitet.
Die Kyer sagten von sich, daß sie das einzige
Volk mit Wißbegierde seien. Auch seien sie das
Volk, dem kein Aberglauben den Blick verfin-
stere. Die Dichtungen anderer Völker sind nicht
wert gesungen zu werden. Die Kyer waren ein
Volk von großem Selbstbewußtsein. Besonders
rühmten sie sich, auch anderen Völkern gegen-
über, die sie besiegt hatten, menschlich zu emp-
finden; und wenn sie auch einige Städte mit allen
Bewohnern vertilgt hatten, so geschah es nur in
weiser Vorsicht, um keinen Haß in der Nähe neu,
aufwachsen zu lassen; sie taten es mit freudlosem
Bedauern, sagten sie von sich.
Die Kyer lasen die Berichte ihrer Landsgenos-
sen, nicht ohne an manchem zu zweifeln. Sie
lächelten, wenn sie den Wanderer bei einer Er-
findung zu ertappen glaubten, denn jeder von ihnen
log gerne ein wenig zur Unterhaltung der ande-
ren.
So las man gläubig von dem Lande der Ge-
sichtskäfer, deren Menschenantlitz furchtbar aus
den Panzerflügeln drohte. Blutlose Lippen zwi-
schen weißen Wangen lagen unter den zornigen

Nasenflügeln, aus denen sie Giftpfeile in solcher
Schnelligkeit hinter einander schnaubten, daß sie
in einem Augenblicke ein ganzes Heer zu Boden
röcheln machten. Dann fallen sie auf die Leichen
nieder, die unter dem Atem ihrer Mäuler schmel-
zen, wie der Schnee der Berge, den man zu Tale
trägt. Sie sind ebenso unruhig wie boshaft in be-
ständiger Wanderschaft und wohnen in den durch
sie von Menschen entleerten und durchhöhlten
Städten.
Aergerlich lachten sie aber, als ihrer Gutgläubig-
keit zugemutet wurde, an Fische zu glauben, die
mit flügelartigen Flossen über das Wasser schwe-
ben und an springende Tiere mit kurzen Vorder-
beinen, die in einem am Bauch angewachsenen
Sack ihre Jungen trügen, ebenso wie die Frauen
der Batier ihre Kinder in von ihnen' gefertigtem
Sack über dem Rücken. Diese Erzählungen
schmeckten so deutlich nach witziger Erfindung,
daß sie unmöglich wahr sein könnten.
Das Buch des Königs über die Sitten der vielen
Völker war lange beliebt, und man erzählte den
Kindern daraus, denn das Wissen muß früh ein-
gepflanzt werden, damit die Liebe zu ihm mit
dem Körper groß wird.
Von dem Volk, dessen Königskinder man in
Sturmnächten in die Spitze von schlanken, hin-
und herwankend'en Türmen trug, um dort zu
Kraft und Mut in den Schlaf gewiegt zu werden,
und die von Tigerammen gesäugt wurden, und
von den Taten dieser Kinder wurde im Gesangs-
ton berichtet. Was gut gesungen war, wurde
dem Streite über Wahrheit und Lüge in goldene
Wolken enthoben. Es war unziemlich, daran zu
mäkeln.
Das Verhängnis des Königs war, daß er einige
fremde Staatsformen überaus pries und über die
in Kyland erhob. Zuerst war man darüber ver-
dutzt, daß ihr eigener König nicht von der Ueber-
legenheit der Form überzeugt war, unter der sie
so viele Völker unterworfen hatten und das herr-
lichste Volk der Erde geworden waren. Dann
glaubte man zu begreifen, daß es ihm gefiel, ein
verstelltes Antlitz zu zeigen, und sein Lob mas-
kierter Hohn sei. Man lachte Beifall, und da der
König zu allem schwieg, interessierte man sich
bald wieder für anderes, bis ein wandernder Vor-
leser die Kapitel vom Volk der Weisen an allen
Orten der drei Städte Kylands vortrug.
Es war ein Staat, der von einem alle drei Jahre
neu gewählten Kreis geleitet wurde. Dem ge-
hörten zwei Jünglinge, drei Männer und füntf
Greise an. Die Pläne der so ausgezeichneten
Jünglinge wurden von den Männern geprüft, er-
weitert und ihren beigesellt; und es geschah
nichts, das nicht die Greise gutgeheißen hatten.
Immer wieder unterbrach sich in der Schilderung
dieses Gemeinwesens der König und pries es als
das vollkommenste der Erde. Das Volk der Kyer
wurde nach und nach von dem Lobe mit fortge-
rissen und schickte eine Abordnung an den König.
Es verlangte stürmisch, der gleichen Vollkommen-
heit zugeführt zu werden. Der König, der seine
Schrift schon beinahe vergessen hatte, war em-
pört über sein undankbares Volk, das sein Ge-
schlecht von Ruhm zu Ruhm geführt hatte. Vor
einer großen Versammlung beteuerte er, daß sein
.Volk von dem Geist der Götter, der auf ihn und
die Priester herabstieg, selbst geleitet werde, und
er begann, in wütende Schmähungen gegen das
undankbare auszubrechen.
Da traf ihn ein Pfeilschuß. Er sank mit aus-
gebreiteten Armen zu Boden.
Die Menge brach gleich darauf in Klagen aus
und hielt sein Andenken in hohen Ehren. Aber
das Königtum war am Tage seiner Ermordung
auch tot.

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