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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Sechstes Heft (September 1916)
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Baum, Peter: Kyland
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0070

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II
* Plaos Mutier war eine Tochter des Königs von
der Insei Larini, des durch die Keuschheit seiner
Frauen bekannten Reiches. Sein Vater holte sie
von dort, und der König, der glaubte, daß sein
Geschlecht noch den Reif, den er um die Stirne
hatte, mit Recht trage, gab sie ihm gern. Hatte
doch der frühere König von Kyiand auf seinen
Zügen bei seinem Vorfahr Rast gemacht.
Plaos Mutter murrte nicht, daß sie keine Köni-
gin wurde. Sie war dem Manne, dem sie ihr
Vater gegeben hatte, vollkommen ergeben, ebenso
wie dem Gott ihres Landes, dessen Gesetz der
Frau Gehorsam gebot. Auch ais der König nach
der Geburt des Knaben seine Liebe einer der Vor-
nehmen des unterworfenen Landes von der All-
zugefälligen zuwandte, trug sie ihren Gram stille.
Sie ritt mit ihrem Sohne auf einem Elefanten
manchmal ins Gebirge. Geleitet wurde er von
einem Diener, den sie mitgebracht hatte. In der
Elefantenkammer war sie durch den vordrohenden
Rüssel sicher vor den wilden Tieren. Als der
Lenker mit dem Stachel auf das Tier einschlug,
wollte der Knabe weinend, daß er aufhöre. Sie
aber sagte beschwichtigend: „Er bekommt ja auch
zu essen, so mag er gehorchen. Bekommt er sein
Recht, so tue er auch seine Pflicht."
Plaos Vater, der bei seiner Geliebten über die
Gefügigkeit seiner Gemahlin zuerst gespottet hatte,
wurde durch den immer liebevollen Blick ins
Innerste getroffen, und er sagte überall, daß die
selbstlose Liebesfähigkeit der Frauen die Männer
beschäme.
Die Aenderung seiner Gefühle gegen sie be-
gann, als sie ihm gut riet. War er auch nicht
König von Kyiand, so war er doch noch der Erste
im Lande und im Kriege der Führer. Sie riet ihm,
den Feind, dessen Kampfesweise in langen Linien
vorzustürmen man gehört hatte, in Gruben, die mit
dünnen Stäben und dann mit Erde zugedeckt
werden, fallen zu lassen. „Von eurem den Feind
lockenden sichtbaren Heer muß die Hälfte min-
destens dicht vor den Gruben in Erdhöhlen lugen,
um über die durch Verblüffung Wehrlosen herzu-
stürzen."
Gruben zu graben hatte ihr Volk für die Jagd
erfunden. Die Kyer waren einst mehr auf dem
Wasser als auf dem Lande gewesen.
Er lachte sehr über ihre Schlauheit und fragte,
ob sie solch tückische Kampfart schön finde. Sie
erwiderte lächelnd: „Wer den Feind schont,
wendet sein Schwert gegen sein Volk." Nur die
Liebe zu ihm habe ihr diese List eingegeben, als
sie sich in der Nacht über die ihm bevorstehende
Gefahr grämte. Er schloß sie darauf in seine Arme
und sagte, er werde dem Volke Vorschlägen, sie in
den leitenden Rat der Weisen aufzunehmen. Sie
schlug errötend die Hände vors Gesicht und sagte:
„Ihr Frauen und Männer von Kyiand seid schreck-
lich. Die Weiber, die mit fremden Männern scher-
zen, sind schamlos. Die Götter werden euch
strafen."
Als er als Sieger zurüokkehrte, hallte, als er
den Hof betrat, schon sein Ruf nach ihr. Sie trat
ihm mit niedergeschlagenen Lidern und vor Freude
schwerem Atem an der Tür entgegen. Er hob sie
auf seine Arme und trug sie mit sich fort.
Seit dem Tage war Plao nachher der Pflege
einer Dienerin übergeben, deren Worte in der
Dunkelheit seine Sehnsucht und den Gram nach
seiner Mutter übertäubten. Die junge Sklavin aus
dem überwundenen Volke sprach allerhand Zeug,
den durch die Kylehre verdrängten Aberglauben
ihrer Leute. Durch sie erlernte der Knabe die
Furcht vor dem Tode. Sie erzählte von einem
Jüngling der Kyer, der sie so geliebt hätte, daß
er sie zur Gemahlin nehmen wollte.

„Sein eigener Vater stieß ihn deshalb nieder."
„War er so bösartig?"
„Nein, er wollte aber keinen Sohn mit niedriger
Gesinnung haben."
„Mit niedriger Gesinnung? Wie meinst du
das?"
„Er wollte eine Niedrige zu seinesgleichen
machen. Ich war voller Freude. Aber es war
nicht recht. Seit er tot ist, stellt er mir nach."
„Was tut er?"
„Er sucht mich zu fangen und zu essen."
Der Knabe ließ den Schrei in der Kehle.
„Ja, die Verstorbenen sind sehr böse, weil sie
nicht mehr am Leben sind. Sie sind neidisch auf
uns. Selbst eine Mutter stellt ihrem Kinde Schlin-
gen."
Solche und ähnliche Worte waren ein Same,
aus dem der Baum seiner Todesfurcht hochstieg,
der seitdem oft unversehens in seine Träume bei
Schlaf und Wachen hineinrauschte. Den Tod
fürchtete er seitdem im geheimen als eine grauen-
hafte Umkehrung alles dessen, was er bisher emp-
fand.
Er stand oft vor den fliehenden Segeln an der
Wand, die, wie er dämmerte, seinen Vater fort-
trugen zu neuem Ruhm.
Die Sklavin brachte auch bunte Tafeln mit. Es
waren Bilder, vor denen er sich fürchtete. Ein
Mann, dessen viele Arme und Köpfe gegen ein-
ander kämpften mit Fäusten und Zähnen. Sie
sagte, daß es verdammte Götter seien, die ihre
Väter umgebracht hätten.
Er erschrak, denn er selbst hatte sich oft vor
dem Einschlafen befragt: wird mein Vater noch
lange leben? Er nickte bejahend und war über
diesen Orakelspruch beruhigt.
Dann hatte er Mitleid mit allen Menschen, die
alle sterben müssen.
Dann saß er morgens geduldig auf seines Vaters
Knieen, um ihn auf der Erde festzuhalten. Oft
hob ihn der Gott, sein Vater, in die Höhe, und er
stand in der Luft ihm Auge in Auge gegenüber.
Er setzte ihn zu sich nieder und erklärte ihm,
wie man ein Schiff baut, und wie die Segel ge-
wendet werden.
Er hörte mit geschlossenen Augen den Klang
der Stimme und fühlte sich mit den Händen gebun-
den. Dann und wann hörte er:
„Willst du noch weiter hören?"
Er nickte mit dem Kopf und hoffte die Täu-
schung des Zuhörens durchführen zu können und
so seinem Vater bis zum Ende seiner Worte
Freude zu machen.
Sein Vater sagte, indem er ihm das Spannen
des Bogens lehrte, daß mit dem Segel und dem
Pfeil alle Kostbarkeiten der Erde erreichbar
wären.
Seit der Stunde übte Plao sich im Zielen.
Plaos Mutter meinte: Es ist ein Kind, das am
liebsten allein spielt. Schade. Dabei litt er, wenn
sie fort war; wenn sie ihn aber zwischen den
hohen Bäumen schaukelte, hielt er nur still, weil
er glaubte, daß es ihr Freude mache. Er saß gern
auf dem schwankenden Brett und wiegte sich leise,
indem er ihr Antlitz versunken betrachtete.
Sie trug ihr Haupt aufrecht mit gesenkten
Lidern, nicht wie die Rundbilder der Götter zur
Seite geneigt, wie er es jetzt auch hielt, in Be-
trachtung.
Er sah das Leben auch später, wie man Bilder
ansieht. Er hörte aufmerksam zu, als sein Vater
den Strich eines Malers lobte. Es war ein Bild,
vor dem er mit seiner Mutter wohlriechende Kräu-
ter opferte. Er bildete sich eine Zeitlang ein, der
Maler zu sein.
Einmal zeigte er ihr eine durchgepauste Zeich-
nung und sagte, er habe sie nachgezeichnet. Sie

brachte sie seinem Vater, und er hörte mit scham-
roten Wangen, wie er gelobt wurde.
Den nächsten Tag hörte er, wie sein Vater zur
Mutter sagte: „Ich hätte ihm nicht die Geduld
zugetraut. Auch dachte ich, er würde, wenn auch
noch so ungeschickt, etwas hinzugefügt haben. Er
ist doch ein Bilderkopf. Er ist besser, als er tut."
Dann rief er ihn zu sich und sagte, er solle die
Zeichnung noch einmal, aber etwas vergrößert
machen.
Es war ein Glück für Plao, daß sein Vater nicht
mehr darauf zurückkam. Daß er ein Bilderkopf
war, ging ihm nach. Er schloß mehr noch als
früher die Augen und ließ aus schwankenden
Farben Gebilde auftauchen und verschwimmend
sich wandeln. Manchmal aber faßte ihn dabei Ent-
setzen. Er dachte an die Grausenerzählungen der
Sklavin. Zwischen Traumschlummer und Wachen
stammelte er: „Werdet nicht rund!"
Als er einmal im Fieber zwischen lauter Ge-
stalten krank lag, mischte sie aus Kräutern ihrer
Heimat einen Trank, den sie ihm einflößte, während
er sich entsetzt schreiend wehrte, worauf er sich
nach und nach beruhigte. Nachts sagte er zur
Sklavin, daß eine Mutter ihrem Kinde nur Schlin-
gen stellt, um es vorm Sturze in den Sumpf zu
schützen. Sie gab auch einer Frau, die die frühere
Geliebte ihres Mannes kannte, einen Beutel von
Kräutern mit und schärfte ihr ein, wie sie ge-
mischt würden, um die heilende Wirkung zu haben.
Als die Dienerin ihm sagte, sie habe nie ge-
glaubt, daß er so grausam sei — eine Schnecke
habe sich in entsetzlichen Qualen unter seiner
Sandale gekrümmt — schlief er die Nacht nicht
vor Mitleiid und Ekel. Dabei aß er gern bis dahin
gebackene Schnecken, trotzdem er der Dienerin
geglaubt hatte, daß in der Schnecke ein Gott
schlummere.
Auch träumte er sich gern als Führer in der
Schlacht. Eines Tages erschrak er, als er hörte,
daß die Feinde viel mehr Blut verspritzten, als die
Kyer. So greifbar hatte er das Schlachten nie
vor sich gesehn. Mit der Zeit ertappte er sich,
wie er gegen; Heere kämpfte, die Mutlos !hin-
stürzten.
Oft stürmte er den Gartenweg entlang, warf
die Arme in die Luft und Heß sich hinterrücks zu
Boden fallen. Dies wurde eines seiner Lieb-
lingsspiele.
Die Dienerin, die ihn bei diesem Spiel über-
raschte, fing an zu weinen und sagte unter Schluch-
zen, er werde sehr jung in; der Schlacht fallen.
„Solch schöner junger Herr!" klagte sie. Aber
dies Spiel sei eine von einer Hexe gesandte Vor-
ahnung.
Plao folgte ihr in den Raum, in dem sie die
Gewänder ihrer Herrin reinigte. Hier war er oft
bei ihr. Sie saß auf dem Boden und sagte mit
verweinten Augen lächelnd:
„In unsern Kammern sind keine prächtigen
Bilder."
„Früher aber, ehe wir euch besiegten" erwider-
te er hochmütig und mitleidig.
Sie schüttelte den Kopf.
„In unsern Kammern auch damals nicht. Für
uns Arme brachtet ihr nicht viel Veränderung.
Seit unsere Vornehmen wieder vornehm sind,
wurden unsere kleinen Mädchen, die euch nicht
bedienen, flatternde Straßennachtigallen, die euch
für eine Nacht in ihr Bauer locken und froh sind,
wenn sie für ihr armes Lied eine saftige Feige er-
halten. Es gibt ärmliche unter ihnen, die auch
nicht anders wohnen als ich. Dabei verachtet
man sie noch mehr als mich, seit unsere Vor-
nehmen wieder vornehm wurden. Aber die Götter
schufen Große und Kleine, Schöne und Häßliche.
Ich habe es noch gut getroffen. Aber ich ver-

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