Schöne Künste
Der Schweizer ats Erzieher oder Bode zu Hause
Herr Generaldirektor Wilhelm von Bode ver-
öffentlicht in einer nebensächlichen Zeitschrift
Wieland Urteile der Neutralen über neueste deut-
sche Kunst. Herr Generaldirektor Wilhelm von
Bode ist in den Augen der Kunstlaien und Kunst-
historiker eine Autorität. Dieser Fachmann kann
in Deutschland offenbar nicht mehr genügend Laien
finden, die ihm seine Urteilslosigkeit bestätigen.
Vertrauensvoll wendet er sich daher an das neu-
trale Ausland. Und wie einst ein Deutsch-Ameri-
kaner gefunden wurde, der das Werk Hugo von
Tschudis in der Nationälgalerie anspuckte, so hat
auch Herr Generaldirektor von Bode einen
Schweizer gefunden, der sich an der Kunst ver-
greift. Man bedenke: der Generaldirektor der
Königlichen Museen findet in Deutschland und im
gesamten neutralen Ausland nur einen
Schweizer, der sich mit ihm verurteilen läßt. Einen
Schweizer, von dem man nur erfährt, daß er ein
Bekannter des Herrn von Bode ist. Der Bekannte
scheint aber kein guter Bekannter gewesen zu
sein, denn er weiß nicht einmal, daß sein Be-
kannter, Herr von Bode, ebenso wenig von Kunst
versteht, wie er selbst. Ich will den Bekannten
von Herrn von Bode so vorstellen, daß er zugleich
bestellt und mit seinem Bekannten abbestelit ist.
„Sie werden sich wundern, daß ich als Schweizer
und nach allen Klagen, die ich gerade gegen Sie
über die neuere Entwicklung unser Schweizer
Kunst habe laut werden lassen, über Ihre modern-
ste Malerei in Deutschland mich abfällig hören
lasse . . . Verstehen Sie, was diese neue Kunst
will? In allen Zu- und Beischriften, die man in die
Hand gedrückt oder zugeschickt bekommt, habe
ich gestöbert, aber ich bin nur noch dümmer da-
durch geworden. Sie sind ja — ebenso unverständ-
lich wie die „Kunst" welche sie feiern. So viel
lese ich wohl heraus, daß es jetzt genug sei mit
aller rohen Naturnachahmung, mit dem wüsten Im-
pressionismus, ein Höheres sei das Ziel der wahren
Kunst: Abstraktion von der Natur, Verbildlichung
der Naturkräfte, Symboiisierung, echten Stil wolle
der Expressionismus. Und bietet er das wirklich?
Was ich davon in den Ausstellungen der ver-
schiedenen Sezessionen, der Kunsthandlungen von
Goltz, Gurlitt, im Sturm undsoweiter an Bildern,
Plastiken und namentlich von graphischer Kunst
gesehen habe, kam meinem altmodischen Auge
sehr viel roher vor, als der äußerste Impressionis-
mus; was als hohe Form mir angepriesen wurde,
erschien mir völlig formlos und formwidrig und in
den Produkten des Kubismus konnte ich nur die
Ausartungen eines kranken Mathematiker-Gehirns
entdecken. Und dazu die widerlichen Motive!
Nuditäten läßt man sich ja gern gefallen, wenn
man sie nicht als solche, wenn man sie als Kunst
empfindet, aber wie soll man sich an diesen
plumpen Gestalten, deren unendliche Länge, oder
deren unmögliche Kürze, deren doppelt ge-
brochene Glieder, aufgeschwellte Bäuche und Mus-
keln, deren fratzenhafte Gesichter ebenso wider-
lich als unwahr und unmöglich sind, die mit ab-
sichtlicher Rohheit hingestrichen, gekritselt oder
gemeisselt sind, erfreuen oder gar erbauen?"
Diesen Unsinn, den heute nicht einmal ein Jour-
nalist mehr schreibt, läßt der Generaldirektor Wil-
helm von Bode im September 1916 drucken. Der
Schweizer mit dem altmodischen Auge läßt sich
ja gern Nuditäten gefallen, wenn man sie nicht als
solche empfindet. Aber wenn ihm die Kunst nackt
vor die Augen tritt, findet er sie roh. Er redet
mit Genehmigung des Herrn von Bode wieder von
den jungen Herren, die originell sein wollen und
nach dem Stillen Ozean reisen, ohne, ebensowenig
wie Herr von Bode, zu wissen, daß der größte
Künstler Deutschlands, Franz Marc, ein halbes
Jahr vorher in Frankreich gefallen ist. Die beiden
Bekannten kennen weder Kokoschka noch
Campendonk und reden über deutsche Kunst. Die
beiden Bekannten wissen ebensowenig, daß sich in
den verschiedenen Sezessionen wie in den Kunst-
handlungen von Goltz und Gurlitt die Nachahmer
dieser Künstler befinden, ebenso wie sich in den
Museen des Herrn von Bode die Nachahmer von
Holbein und Grünewald breitmachen. Herr von
Bode bemerkt in seinem Schlußwort: „Ich will die
bitteren Auslassungen, zu denen solche unge-
wohnte Ausstellungen des Allermodernsten meinen
Bekannten veranlaßt haben, hier nicht weiter
wiedergeben. Wir sind ja heute, nachdem wir in
den Ausstellungen der letzten Jahre schon mehr
an diese hypermoderne und futuristische Richtung
gewöhnt sind, bei aller Ablehnung solcher extremer
und schließlich auch unkünstlerischer Ausartungen
doch zugleich imstande zu sehen, was als echter
Kern in unserer deutschen Kunst auch heute noch
lebendig oder latent ist, was sich auch durch solche
Verirrungen hindurchringen, und vielleicht als
neue echte Kunst später daraus erwachsen wird."
Herr von Bode gewöhnt sich an den Futurismus,
und ist imstande zu sehen, daß ein Kern sich
hindurchringen und später wachsen wird. Das ist
Herr von Bode imstande zu sehen. Nur möchte
ich gerne von Herrn von Bode wissen, wie aus
einem ringenden echten Kern später naturalistisch
echte Kunst heraus erwächst, wenn der Kern in
einer überlebten und vielfach kranken Kultur
steckt. „Gewiß sind diese exzentrischen Werke in
den verschiedensten Kunstgattungen der Ausdruck
einer überlebten und vielfach kranken Kultur, nicht
nur bei uns in Deutschland sondern überall. Wir
können sie am wenigsten als das Morgenrot der
Kunst gelten lassen, welche die schwere Gewalt
der Zeit die wir jetzt durchleben und durchkämpfen
heraufführen soll, und unsere tapferen Kämpfer an
der Front würden an einer Verherrlichung durch
diese Kunst gewiß keine Freude haben." Ebenso-
wenig wie ein Schweizer das Recht hat, seinen
Unsinn als Urteil der Neutralen auszugeben, eben-
sowenig hat ein Bode das Recht, im Namen der
Der Schweizer ats Erzieher oder Bode zu Hause
Herr Generaldirektor Wilhelm von Bode ver-
öffentlicht in einer nebensächlichen Zeitschrift
Wieland Urteile der Neutralen über neueste deut-
sche Kunst. Herr Generaldirektor Wilhelm von
Bode ist in den Augen der Kunstlaien und Kunst-
historiker eine Autorität. Dieser Fachmann kann
in Deutschland offenbar nicht mehr genügend Laien
finden, die ihm seine Urteilslosigkeit bestätigen.
Vertrauensvoll wendet er sich daher an das neu-
trale Ausland. Und wie einst ein Deutsch-Ameri-
kaner gefunden wurde, der das Werk Hugo von
Tschudis in der Nationälgalerie anspuckte, so hat
auch Herr Generaldirektor von Bode einen
Schweizer gefunden, der sich an der Kunst ver-
greift. Man bedenke: der Generaldirektor der
Königlichen Museen findet in Deutschland und im
gesamten neutralen Ausland nur einen
Schweizer, der sich mit ihm verurteilen läßt. Einen
Schweizer, von dem man nur erfährt, daß er ein
Bekannter des Herrn von Bode ist. Der Bekannte
scheint aber kein guter Bekannter gewesen zu
sein, denn er weiß nicht einmal, daß sein Be-
kannter, Herr von Bode, ebenso wenig von Kunst
versteht, wie er selbst. Ich will den Bekannten
von Herrn von Bode so vorstellen, daß er zugleich
bestellt und mit seinem Bekannten abbestelit ist.
„Sie werden sich wundern, daß ich als Schweizer
und nach allen Klagen, die ich gerade gegen Sie
über die neuere Entwicklung unser Schweizer
Kunst habe laut werden lassen, über Ihre modern-
ste Malerei in Deutschland mich abfällig hören
lasse . . . Verstehen Sie, was diese neue Kunst
will? In allen Zu- und Beischriften, die man in die
Hand gedrückt oder zugeschickt bekommt, habe
ich gestöbert, aber ich bin nur noch dümmer da-
durch geworden. Sie sind ja — ebenso unverständ-
lich wie die „Kunst" welche sie feiern. So viel
lese ich wohl heraus, daß es jetzt genug sei mit
aller rohen Naturnachahmung, mit dem wüsten Im-
pressionismus, ein Höheres sei das Ziel der wahren
Kunst: Abstraktion von der Natur, Verbildlichung
der Naturkräfte, Symboiisierung, echten Stil wolle
der Expressionismus. Und bietet er das wirklich?
Was ich davon in den Ausstellungen der ver-
schiedenen Sezessionen, der Kunsthandlungen von
Goltz, Gurlitt, im Sturm undsoweiter an Bildern,
Plastiken und namentlich von graphischer Kunst
gesehen habe, kam meinem altmodischen Auge
sehr viel roher vor, als der äußerste Impressionis-
mus; was als hohe Form mir angepriesen wurde,
erschien mir völlig formlos und formwidrig und in
den Produkten des Kubismus konnte ich nur die
Ausartungen eines kranken Mathematiker-Gehirns
entdecken. Und dazu die widerlichen Motive!
Nuditäten läßt man sich ja gern gefallen, wenn
man sie nicht als solche, wenn man sie als Kunst
empfindet, aber wie soll man sich an diesen
plumpen Gestalten, deren unendliche Länge, oder
deren unmögliche Kürze, deren doppelt ge-
brochene Glieder, aufgeschwellte Bäuche und Mus-
keln, deren fratzenhafte Gesichter ebenso wider-
lich als unwahr und unmöglich sind, die mit ab-
sichtlicher Rohheit hingestrichen, gekritselt oder
gemeisselt sind, erfreuen oder gar erbauen?"
Diesen Unsinn, den heute nicht einmal ein Jour-
nalist mehr schreibt, läßt der Generaldirektor Wil-
helm von Bode im September 1916 drucken. Der
Schweizer mit dem altmodischen Auge läßt sich
ja gern Nuditäten gefallen, wenn man sie nicht als
solche empfindet. Aber wenn ihm die Kunst nackt
vor die Augen tritt, findet er sie roh. Er redet
mit Genehmigung des Herrn von Bode wieder von
den jungen Herren, die originell sein wollen und
nach dem Stillen Ozean reisen, ohne, ebensowenig
wie Herr von Bode, zu wissen, daß der größte
Künstler Deutschlands, Franz Marc, ein halbes
Jahr vorher in Frankreich gefallen ist. Die beiden
Bekannten kennen weder Kokoschka noch
Campendonk und reden über deutsche Kunst. Die
beiden Bekannten wissen ebensowenig, daß sich in
den verschiedenen Sezessionen wie in den Kunst-
handlungen von Goltz und Gurlitt die Nachahmer
dieser Künstler befinden, ebenso wie sich in den
Museen des Herrn von Bode die Nachahmer von
Holbein und Grünewald breitmachen. Herr von
Bode bemerkt in seinem Schlußwort: „Ich will die
bitteren Auslassungen, zu denen solche unge-
wohnte Ausstellungen des Allermodernsten meinen
Bekannten veranlaßt haben, hier nicht weiter
wiedergeben. Wir sind ja heute, nachdem wir in
den Ausstellungen der letzten Jahre schon mehr
an diese hypermoderne und futuristische Richtung
gewöhnt sind, bei aller Ablehnung solcher extremer
und schließlich auch unkünstlerischer Ausartungen
doch zugleich imstande zu sehen, was als echter
Kern in unserer deutschen Kunst auch heute noch
lebendig oder latent ist, was sich auch durch solche
Verirrungen hindurchringen, und vielleicht als
neue echte Kunst später daraus erwachsen wird."
Herr von Bode gewöhnt sich an den Futurismus,
und ist imstande zu sehen, daß ein Kern sich
hindurchringen und später wachsen wird. Das ist
Herr von Bode imstande zu sehen. Nur möchte
ich gerne von Herrn von Bode wissen, wie aus
einem ringenden echten Kern später naturalistisch
echte Kunst heraus erwächst, wenn der Kern in
einer überlebten und vielfach kranken Kultur
steckt. „Gewiß sind diese exzentrischen Werke in
den verschiedensten Kunstgattungen der Ausdruck
einer überlebten und vielfach kranken Kultur, nicht
nur bei uns in Deutschland sondern überall. Wir
können sie am wenigsten als das Morgenrot der
Kunst gelten lassen, welche die schwere Gewalt
der Zeit die wir jetzt durchleben und durchkämpfen
heraufführen soll, und unsere tapferen Kämpfer an
der Front würden an einer Verherrlichung durch
diese Kunst gewiß keine Freude haben." Ebenso-
wenig wie ein Schweizer das Recht hat, seinen
Unsinn als Urteil der Neutralen auszugeben, eben-
sowenig hat ein Bode das Recht, im Namen der