Kämpfer an der Front zu sprechen. Er würde sich
wundern, der Herr von Bode, wenn er die Urteile
der Kämpfer an der Front kennen würde. Ich
habe auch Bekannte, die sogar Namen haben und
die Herrn von Bode zur Verfügung stehen. Er
würde an diesen Urteiien gewiß keine Freude
haben. Aber Herr von Bode hat außer dem
Schweizer noch einen Zeugen, das Geschäft. „Aber
das ist doch nicht die echte deutsche Kunst
von heute, das ist nicht unser heutiger Geschmack.
Wäre er es, würden dann für frühere Werke eines
Thoma und Liebermann, für Biider von Leibi,
Feuerbach so außerordentliche, noch immer
steigende Preise gezahit werden?" Von wem?
Freilich, einen Leonardo kann sich nicht jeder
leisten. Und die Preise steigen, wenn die Künstler
faßen. „Freiiich drängt sich diese neue Kunst
überaii vor und wird durch Presse und Händler
noch mehr in den Vordergrund geschoben. Aber
den gesunden alten Kern werden sie nicht über-
wuchern; sie wird sich überleben und Neues wird
sich entwickeln." Herr von Bode knackt immer
auf dem Kern herum. Jedenfalls wird ein Kern
nicht überwuchert, wenn etwas in den Vorder-
grund geschoben wird. Das sollte ein alter Natur-
kenner wie Herr von Bode eigentlich wissen. Nur
verstehe ich nicht, daß Herr von Bode und seine
Bekannten immer behaupten, daß diese neue Kunst
sich vordrängt. Sie wird in ganz wenigen Aus-
stellungen gezeigt, die Presse hat sie bis vor
kurzer Zeit verhöhnt, der Generaldirektor der Kö-
niglichen Museen kämpft zusammen mit einem
Schweizer gegen sie, während dem Impressionis-
mus alle Ausstellungen und alle Museen geöffnet
sind, und für ihn nach dem einwandfreien Zeugnis
des Herrn von Bode außerordentliche Preise be-
zahlt werden. Nein, meine Herren Bode und Ge-
nossen, diese neue Kunst, die keine neue Kunst
sondern Kunst ist, drängt sich nicht vor, sie drängt.
Und sie drängt zurück, was nicht Kunst ist. Und
.zwar nicht durch Händler oder durch Presse,
sondern durch ihre eigene Macht, die Macht der
Kunst. Sic drängt zurück, was nicht Kunst ist.
Sie drängt vor, gegen die Händler, gegen die
Presse, sogar gegen den Generaldirektor der Kö-
niglichen Museen. Daß Kunst die Augen öffnet,
kann selbst ein Schweizer nicht verhindern. Es gibt
keine Neutralität in der Kunst. Künstler sind
Kämpfer an der Front. Kein Künstler kann so jung
sein wie die Kunst es ist. Es ist keine Ehre, alt zu
sein. Es ist keine Ehre, alt zu werden. Alter
schützt vor Torheit nicht, sagt der deutsche Volks-
mund. Der deutsche Volksmund ist gesund, das
wird selbst Herr von Bode zugeben, der sich so
gern auf das deutsche Volk beruft. Dann nämlich,
wenn dieser deutsche Volksmund schweigt. Oder
sich nur durch einen Schweizer Bekannten äußert.
Und wieder sucht Herr von Bode seine Kettung
in der Bildhauerei. „Zudem hat unsere Plastik
gerade durch die selben Künstler in technischer
Beziehung einen großen Fortschritt gemacht, indem
die Künstler ihre Bildwerke vielfach eigenhändig
ausführen, wodurch in ihren Arbeiten die künstle-
rische Empfindung voll zum Ausdruck und der be-
sondere Reiz des Materials zur Geltung kommt."
Ein großer Fortschritt, daß die Herren Professoren
ihre Bildwerke vielfach eigenhändig ausführen.
Handarbeit. Das muß einen besonderen Reiz geben.
„Auch hier dürfen wir aber hoffen, daß gerade die
Leichtfertigkeit dieser neuesten Richtung und die
Brutalität mit der sie sich aufdrängt eine ener-
gische Reaktion herbeiführen wird .... Jene
bösen Verirrungen sind die häßlichen Nebener-
scheinungen des erbitterten Kampfes der alten
naturalistischen Schule mit der neuen auf einen
gebundenen Stil ausgehenden Richtung." Zwar geht
eine Richtung nie aus, aber plötzlich merkt Herr
von Bode, daß er Kunsthistoriker ist. Er redet so
nebenbei von einem Kampf des alten Naturalismus
gegen den neuen gebundenen Stil. Warum ist Herr
von Bode denn so ungebunden. Ist es denn leicht-
fertig, gebunden zu sein, sich gebunden zu fühlen.
Jeder kann doch nicht eine Individualität sein wie
Herr von Bode, denn, Herr von Bode, der Künstler
fühlt sich stets gebunden. Gebundenheit ist Re-
ligion. Gebundenheit ist Kunst. Aber die Natur
nachzuahmen, Herr von Bode, das ist Größen-
wahn. Bild ist, was gebildet, und nicht was ver-
bildet ist. Und prophezeien Sie nie Geschichte,
Herr von Bode. Erst muß etwas geschehen, damit
Sie die Geschichte davon haben. Erst sind die
Bilder, und dann schreibt sie die Geschichte auf.
Merken Sie sich das.
Der Mordsstrich
„Seit ihrer Dresdner Uraufführung sind „Die
toten Augen" bekanntlich in vielen großen deut-
schen Städten genau so gegeben worden, wie
Hanns Heinz Ewers sie sprachlich gefügt und Eugen
d'Albert sie in Musik gesetzt hat." Die Sprache
kann bekanntlich nicht mehr aus den Augen sehen,
wenn Hanns Heinz Ewers sie gefügt hat. „In Ber-
lin dagegen wurde die bevorstehende Aufführung
von einer unwesentlichen und einer sehr wesent-
lichen Aenderung abhängig gemacht. Da Flanns
Heinz Ewers sich zur Zeit in einem anderen, uns
gegenwärtig sehr fernliegenden Erdteil aufhält,
konnte nur Eugen d'Albert befragt werden und der
war gleich bei der Hand..." Hanns Heinz Ewers
wäre über das Meer geflogen, wenn er gewußt
hätte, daß ihn die Presse unterreden soll oder er
die Presse überreden kann. Beide Herren sind
gegen die Zensur, so weit sie nicht „sehr gut"
heißt, doch ich bleibe bei der Stimmung: „Wer
nun etwa angenommen, er möchte sich aus Kum-
mer über die ihm aufgelegten Veränderungen an
den toten Augen rote Augen geweint haben, wurde
angenehm enttäuscht, denn d'Albert empfing den
Besucher strahlenden Angesichts." Die Zensur hat
ihm offenbar die Augen aufgemacht, doch sein An-
gesicht strahlte aus anderm Grunde, ihm kribbelte
es im Ohr: „Vielleicht kribbelte ihm noch vom
Vorabend der Beifall jener zweitausend Menschen
im Ohr, die in der Philharmonie Zeugen seines
gigantischen Kampfes mit einem soliden Bechstein
gewesen waren." Zu diesen Zeugen gehört auch
der Musikkritiker und Herausgeber einer Musik-
zeitschrift August Spanuth, der sich gleich unter-
reden wird. Jedenfalls, der solide Bechstein konnte
diesem Künstler nicht widerstehen. Denn: „Schien
doch seine Laune die allerbeste zu sein. Behag-
lich breitete er seine beiden Löwenpranken auf dem
Tisch aus, und die Finger begannen alsbald dessen
Platte mit förmlichem Trommelfeuer zu bear-
beiten." Welch ein Künstler. Ja, der August
Spanuth versteht es, Zeugen zu überzeugen. Aber
nicht etwa für die Zeugen breitete sich der Künst-
ler behaglich über dem Tisch aus, so etwas tut der
Künstler nur für die Presse: „Aha! Er wollte jeden-
falls dem Mann der Feder beweisen, daß die Presse
sich irre, daß er dennoch unablässig übe!" Welch
ein Künstler! Er übt unablässig, mit und phne
Presse. Und dem schlichten Mann der Feder ist
es leicht bewiesen, daß er es tut. Also beruhigt
kratzt der Mann der Feder los: „Die Zensur hat
Ihnen einen Mord gestrichen und da es der einzige
im Stück ist, möchte man doch gerne wissen, wie
Sie den Verlust verschmerzen." Der kleine man
ist der große Mann der Feder, den jeder Strich
schmerzt. Die Zensur hat also den einzigen Mord
in Stücke gerissen, aber der Zensierte findet, daß
sein Stück* dadurch gewinnt. Er findet es nicht
nur, er sprudelt, daß ihm der Mord von der Seele
genommen ist: „Ja, denken Sie, sprudelte er her-
vor, mir haben schon mehrere Theaterkenner ge-
standen, daß das Ganze dadurch beträchtlich ge-
winnt, daß der Schluß der Toten Augen durch den
wegfallenden Mord des Galba psychologisch glaub-
hafter und im allgemeinen versöhnlicher wird."
Die Zensur hat den mehreren Theaterkennern Mut
gemacht. Auch d'Albert ist versöhnlicher, da er
soeben erst den soliden Bechstein erledigt hat.
D'Aibert ist an sich sogar trotz seinen beiden
Löwenpranken eigentlich ein guter Mensch, von.
dem der Sprachdichter Hanns Heinz Ewers, zur
Zeit anderer Erdteil, nur zuviel verlangt hat. Die
Zensur hat d'Albert die toten Augen geöffnet: „Es
ist ja auch beinahe zuviel verlangt, daß die schöne
Myrtocle den grundhäßlichen Arcenius wieder in
Gnaden annimmt, nachdem er den ebenfalls schönen
Galba, den sie für ihren Gatten gehalten, vor ihren
sehenden Augen erwürgt hat." Der Mann mit der
Feder hat zwar Familiensinn, stellt sich aber doch
auf den andern Erdteil: „Gewiß, menschlicher wird'
es schon dadurch, aber nicht oonsequenter." Dies-
mal hat der solide Mann der Feder den Löwen
besiegt: „Das gab d'Albert ohne Weiteres zu und
meinte außerdem, daß bei Bühnenstücken, die
wirken sollen, vornehmlich aber bei Opern das
menschliche Glaubhafte doch nicht immer die ein-
zige Richtschnur sein dürfe." Zwar meint er außer-
dem, es sei beinahe zu viel verlangt, aber eine
Schnur läßt sich eben richten. Hierauf wird d'Al-
bert übermenschlich: „Auch räumte er ein, daß
ihm persönlich nach der Beseitigung des Mordes
dieser überlebensgroße Edelmut der drei Haupt-
personen ein wenig gegen den Strich gehe." Wo
hingegen die Zensur den Edelmut mit einem Strich
erzeugte. „Immerhin, die Beseitigung der Mord-
tat habe auch ihre unbestreitbaren Vorzüge."
Hierauf streiten sich die Herren weiter, ob es vor-
züglicher sei, jemanden durch Mord oder den
Mord durch jemanden zu beseitigen. Der Mann der
Feder hält ihm die Beseitigung vor: „Das Un-
wahrscheinlichste bleibt aber dennoch, daß Myr-
tocle sich freiwillig des eben durch Christi Gnade
gewonnenen Augenlichts wieder beraubt." Hier
fällt die Frau des Löwen musikalisch ein: „Da
haben Sie Recht, fiel hier die junge Frau d'Alberts
ein. So etwas mag eine Frau höchstens im alten
heroischen Zeitalter getan haben. Aber heutzu-
tage!" Der Mut d'Alberts steigert sich zum Ueber-
mut: „Also du würdest es für mich auch nicht tun?
scherzte d'Albert in übermütiger Laune, worauf
die blonde Frau, die nicht nur durch die Haar-
farbe ein wenig an die fabelhafte Griechin erin-
nerte, ebenso spaßhaft erwiderte: Nein, gewiß
nicht!..." Die Zensur müßte auch die ausge-
stochenen Augen beseitigen, man kann nicht
wissen, was so ein Künstler von seiner Frau mit
griechischer Haarfarbe verlangt. Jedenfalls ver-
sichert uns Herr Spanuth, Herr d'Albert wisse
nicht, ob ihm seine toten Augen mit oder ohne
Mord lieber seien. Der Künstler hat nichts da-
gegen einzuwenden, wie Herr August Spanuth
glaubhaft versichert, daß das Stück in Berlin ohne
Mord und in den übrigen deutschen Städten mit
Mord gegeben wird. „Ob es so oder so mehr
ziehen wird, kann ja erst die Erfahrung lehren."
Aber heutzutage. Herr d'Albert will mit seiner
Griechin gern ins Theater gehen, aber Herr Spanuth
kommt nicht über den Strich, den er unter dem
Strich behandeln soll. Schließlich gibt der Mann
der Feder dem Mann des Bechsteins und der
Griechin einen wohlgemeinten Presserat: „Sorgen
Sie nur dafür, daß man diese Worte aus dem
Hintergründe am nächsten Donnerstag auch recht
deutlich hört, sonst geht dem Zuhörer eine wichtige
wundern, der Herr von Bode, wenn er die Urteile
der Kämpfer an der Front kennen würde. Ich
habe auch Bekannte, die sogar Namen haben und
die Herrn von Bode zur Verfügung stehen. Er
würde an diesen Urteiien gewiß keine Freude
haben. Aber Herr von Bode hat außer dem
Schweizer noch einen Zeugen, das Geschäft. „Aber
das ist doch nicht die echte deutsche Kunst
von heute, das ist nicht unser heutiger Geschmack.
Wäre er es, würden dann für frühere Werke eines
Thoma und Liebermann, für Biider von Leibi,
Feuerbach so außerordentliche, noch immer
steigende Preise gezahit werden?" Von wem?
Freilich, einen Leonardo kann sich nicht jeder
leisten. Und die Preise steigen, wenn die Künstler
faßen. „Freiiich drängt sich diese neue Kunst
überaii vor und wird durch Presse und Händler
noch mehr in den Vordergrund geschoben. Aber
den gesunden alten Kern werden sie nicht über-
wuchern; sie wird sich überleben und Neues wird
sich entwickeln." Herr von Bode knackt immer
auf dem Kern herum. Jedenfalls wird ein Kern
nicht überwuchert, wenn etwas in den Vorder-
grund geschoben wird. Das sollte ein alter Natur-
kenner wie Herr von Bode eigentlich wissen. Nur
verstehe ich nicht, daß Herr von Bode und seine
Bekannten immer behaupten, daß diese neue Kunst
sich vordrängt. Sie wird in ganz wenigen Aus-
stellungen gezeigt, die Presse hat sie bis vor
kurzer Zeit verhöhnt, der Generaldirektor der Kö-
niglichen Museen kämpft zusammen mit einem
Schweizer gegen sie, während dem Impressionis-
mus alle Ausstellungen und alle Museen geöffnet
sind, und für ihn nach dem einwandfreien Zeugnis
des Herrn von Bode außerordentliche Preise be-
zahlt werden. Nein, meine Herren Bode und Ge-
nossen, diese neue Kunst, die keine neue Kunst
sondern Kunst ist, drängt sich nicht vor, sie drängt.
Und sie drängt zurück, was nicht Kunst ist. Und
.zwar nicht durch Händler oder durch Presse,
sondern durch ihre eigene Macht, die Macht der
Kunst. Sic drängt zurück, was nicht Kunst ist.
Sie drängt vor, gegen die Händler, gegen die
Presse, sogar gegen den Generaldirektor der Kö-
niglichen Museen. Daß Kunst die Augen öffnet,
kann selbst ein Schweizer nicht verhindern. Es gibt
keine Neutralität in der Kunst. Künstler sind
Kämpfer an der Front. Kein Künstler kann so jung
sein wie die Kunst es ist. Es ist keine Ehre, alt zu
sein. Es ist keine Ehre, alt zu werden. Alter
schützt vor Torheit nicht, sagt der deutsche Volks-
mund. Der deutsche Volksmund ist gesund, das
wird selbst Herr von Bode zugeben, der sich so
gern auf das deutsche Volk beruft. Dann nämlich,
wenn dieser deutsche Volksmund schweigt. Oder
sich nur durch einen Schweizer Bekannten äußert.
Und wieder sucht Herr von Bode seine Kettung
in der Bildhauerei. „Zudem hat unsere Plastik
gerade durch die selben Künstler in technischer
Beziehung einen großen Fortschritt gemacht, indem
die Künstler ihre Bildwerke vielfach eigenhändig
ausführen, wodurch in ihren Arbeiten die künstle-
rische Empfindung voll zum Ausdruck und der be-
sondere Reiz des Materials zur Geltung kommt."
Ein großer Fortschritt, daß die Herren Professoren
ihre Bildwerke vielfach eigenhändig ausführen.
Handarbeit. Das muß einen besonderen Reiz geben.
„Auch hier dürfen wir aber hoffen, daß gerade die
Leichtfertigkeit dieser neuesten Richtung und die
Brutalität mit der sie sich aufdrängt eine ener-
gische Reaktion herbeiführen wird .... Jene
bösen Verirrungen sind die häßlichen Nebener-
scheinungen des erbitterten Kampfes der alten
naturalistischen Schule mit der neuen auf einen
gebundenen Stil ausgehenden Richtung." Zwar geht
eine Richtung nie aus, aber plötzlich merkt Herr
von Bode, daß er Kunsthistoriker ist. Er redet so
nebenbei von einem Kampf des alten Naturalismus
gegen den neuen gebundenen Stil. Warum ist Herr
von Bode denn so ungebunden. Ist es denn leicht-
fertig, gebunden zu sein, sich gebunden zu fühlen.
Jeder kann doch nicht eine Individualität sein wie
Herr von Bode, denn, Herr von Bode, der Künstler
fühlt sich stets gebunden. Gebundenheit ist Re-
ligion. Gebundenheit ist Kunst. Aber die Natur
nachzuahmen, Herr von Bode, das ist Größen-
wahn. Bild ist, was gebildet, und nicht was ver-
bildet ist. Und prophezeien Sie nie Geschichte,
Herr von Bode. Erst muß etwas geschehen, damit
Sie die Geschichte davon haben. Erst sind die
Bilder, und dann schreibt sie die Geschichte auf.
Merken Sie sich das.
Der Mordsstrich
„Seit ihrer Dresdner Uraufführung sind „Die
toten Augen" bekanntlich in vielen großen deut-
schen Städten genau so gegeben worden, wie
Hanns Heinz Ewers sie sprachlich gefügt und Eugen
d'Albert sie in Musik gesetzt hat." Die Sprache
kann bekanntlich nicht mehr aus den Augen sehen,
wenn Hanns Heinz Ewers sie gefügt hat. „In Ber-
lin dagegen wurde die bevorstehende Aufführung
von einer unwesentlichen und einer sehr wesent-
lichen Aenderung abhängig gemacht. Da Flanns
Heinz Ewers sich zur Zeit in einem anderen, uns
gegenwärtig sehr fernliegenden Erdteil aufhält,
konnte nur Eugen d'Albert befragt werden und der
war gleich bei der Hand..." Hanns Heinz Ewers
wäre über das Meer geflogen, wenn er gewußt
hätte, daß ihn die Presse unterreden soll oder er
die Presse überreden kann. Beide Herren sind
gegen die Zensur, so weit sie nicht „sehr gut"
heißt, doch ich bleibe bei der Stimmung: „Wer
nun etwa angenommen, er möchte sich aus Kum-
mer über die ihm aufgelegten Veränderungen an
den toten Augen rote Augen geweint haben, wurde
angenehm enttäuscht, denn d'Albert empfing den
Besucher strahlenden Angesichts." Die Zensur hat
ihm offenbar die Augen aufgemacht, doch sein An-
gesicht strahlte aus anderm Grunde, ihm kribbelte
es im Ohr: „Vielleicht kribbelte ihm noch vom
Vorabend der Beifall jener zweitausend Menschen
im Ohr, die in der Philharmonie Zeugen seines
gigantischen Kampfes mit einem soliden Bechstein
gewesen waren." Zu diesen Zeugen gehört auch
der Musikkritiker und Herausgeber einer Musik-
zeitschrift August Spanuth, der sich gleich unter-
reden wird. Jedenfalls, der solide Bechstein konnte
diesem Künstler nicht widerstehen. Denn: „Schien
doch seine Laune die allerbeste zu sein. Behag-
lich breitete er seine beiden Löwenpranken auf dem
Tisch aus, und die Finger begannen alsbald dessen
Platte mit förmlichem Trommelfeuer zu bear-
beiten." Welch ein Künstler. Ja, der August
Spanuth versteht es, Zeugen zu überzeugen. Aber
nicht etwa für die Zeugen breitete sich der Künst-
ler behaglich über dem Tisch aus, so etwas tut der
Künstler nur für die Presse: „Aha! Er wollte jeden-
falls dem Mann der Feder beweisen, daß die Presse
sich irre, daß er dennoch unablässig übe!" Welch
ein Künstler! Er übt unablässig, mit und phne
Presse. Und dem schlichten Mann der Feder ist
es leicht bewiesen, daß er es tut. Also beruhigt
kratzt der Mann der Feder los: „Die Zensur hat
Ihnen einen Mord gestrichen und da es der einzige
im Stück ist, möchte man doch gerne wissen, wie
Sie den Verlust verschmerzen." Der kleine man
ist der große Mann der Feder, den jeder Strich
schmerzt. Die Zensur hat also den einzigen Mord
in Stücke gerissen, aber der Zensierte findet, daß
sein Stück* dadurch gewinnt. Er findet es nicht
nur, er sprudelt, daß ihm der Mord von der Seele
genommen ist: „Ja, denken Sie, sprudelte er her-
vor, mir haben schon mehrere Theaterkenner ge-
standen, daß das Ganze dadurch beträchtlich ge-
winnt, daß der Schluß der Toten Augen durch den
wegfallenden Mord des Galba psychologisch glaub-
hafter und im allgemeinen versöhnlicher wird."
Die Zensur hat den mehreren Theaterkennern Mut
gemacht. Auch d'Albert ist versöhnlicher, da er
soeben erst den soliden Bechstein erledigt hat.
D'Aibert ist an sich sogar trotz seinen beiden
Löwenpranken eigentlich ein guter Mensch, von.
dem der Sprachdichter Hanns Heinz Ewers, zur
Zeit anderer Erdteil, nur zuviel verlangt hat. Die
Zensur hat d'Albert die toten Augen geöffnet: „Es
ist ja auch beinahe zuviel verlangt, daß die schöne
Myrtocle den grundhäßlichen Arcenius wieder in
Gnaden annimmt, nachdem er den ebenfalls schönen
Galba, den sie für ihren Gatten gehalten, vor ihren
sehenden Augen erwürgt hat." Der Mann mit der
Feder hat zwar Familiensinn, stellt sich aber doch
auf den andern Erdteil: „Gewiß, menschlicher wird'
es schon dadurch, aber nicht oonsequenter." Dies-
mal hat der solide Mann der Feder den Löwen
besiegt: „Das gab d'Albert ohne Weiteres zu und
meinte außerdem, daß bei Bühnenstücken, die
wirken sollen, vornehmlich aber bei Opern das
menschliche Glaubhafte doch nicht immer die ein-
zige Richtschnur sein dürfe." Zwar meint er außer-
dem, es sei beinahe zu viel verlangt, aber eine
Schnur läßt sich eben richten. Hierauf wird d'Al-
bert übermenschlich: „Auch räumte er ein, daß
ihm persönlich nach der Beseitigung des Mordes
dieser überlebensgroße Edelmut der drei Haupt-
personen ein wenig gegen den Strich gehe." Wo
hingegen die Zensur den Edelmut mit einem Strich
erzeugte. „Immerhin, die Beseitigung der Mord-
tat habe auch ihre unbestreitbaren Vorzüge."
Hierauf streiten sich die Herren weiter, ob es vor-
züglicher sei, jemanden durch Mord oder den
Mord durch jemanden zu beseitigen. Der Mann der
Feder hält ihm die Beseitigung vor: „Das Un-
wahrscheinlichste bleibt aber dennoch, daß Myr-
tocle sich freiwillig des eben durch Christi Gnade
gewonnenen Augenlichts wieder beraubt." Hier
fällt die Frau des Löwen musikalisch ein: „Da
haben Sie Recht, fiel hier die junge Frau d'Alberts
ein. So etwas mag eine Frau höchstens im alten
heroischen Zeitalter getan haben. Aber heutzu-
tage!" Der Mut d'Alberts steigert sich zum Ueber-
mut: „Also du würdest es für mich auch nicht tun?
scherzte d'Albert in übermütiger Laune, worauf
die blonde Frau, die nicht nur durch die Haar-
farbe ein wenig an die fabelhafte Griechin erin-
nerte, ebenso spaßhaft erwiderte: Nein, gewiß
nicht!..." Die Zensur müßte auch die ausge-
stochenen Augen beseitigen, man kann nicht
wissen, was so ein Künstler von seiner Frau mit
griechischer Haarfarbe verlangt. Jedenfalls ver-
sichert uns Herr Spanuth, Herr d'Albert wisse
nicht, ob ihm seine toten Augen mit oder ohne
Mord lieber seien. Der Künstler hat nichts da-
gegen einzuwenden, wie Herr August Spanuth
glaubhaft versichert, daß das Stück in Berlin ohne
Mord und in den übrigen deutschen Städten mit
Mord gegeben wird. „Ob es so oder so mehr
ziehen wird, kann ja erst die Erfahrung lehren."
Aber heutzutage. Herr d'Albert will mit seiner
Griechin gern ins Theater gehen, aber Herr Spanuth
kommt nicht über den Strich, den er unter dem
Strich behandeln soll. Schließlich gibt der Mann
der Feder dem Mann des Bechsteins und der
Griechin einen wohlgemeinten Presserat: „Sorgen
Sie nur dafür, daß man diese Worte aus dem
Hintergründe am nächsten Donnerstag auch recht
deutlich hört, sonst geht dem Zuhörer eine wichtige