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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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7. Heft
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Walden, Herwarth: Lübeck: Sein Mann und sein Neumann
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0132
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Lübeck: Sein Mann und
sein Neumann
Thomas Mann, Professor Thomas Mann
hat bekanntlich vor siebenhundert Jahren
die Freie Stadt Lübeck gegründet und
sich und sie mit Frau Hansa vermählt.
In der Zwischenzeit wurde Schiffahrt
getrieben und Marzipan hergestellt, bis
genau die siebenhundert Jahre um waren.
Nebenbei entwickelte sich noch der ver-
wickelte hanseatische Geist, der sich
seinerseits in den Werken von Thomas
Mann verdichtert hat. Er ist zu seinem
Ehrentag persönlich erschienen, leicht
angegraut. Die Jahrhunderte gehen eben
nicht spurlos an den Menschen vorüber.
Leider konnte ihn der Meister der Bürger
dieser seiner Freien Stadt nicht persön-
lich zum Professor ernennen. Der Senat,
eine bodenständige deutsche Einrichtung,
hat den Meister der Bürger Neumann
fallen lassen müssen, weil er nicht nur
Lübeck sondern ganz Deutschland mit
freiem hanseatisch-monarchistischemGeist
beträufeln wollte. Oder nur sollte, wie
er erklärt. Statt Herrn Neumann musste
daher Herr Mann die Rede halten. Welche
Rede. Die grosse Presse teilt mit, dass
sie sogar „den Rahmen eines Zeitungs-
berichts sprengen würde“.
Wir in Berlin dürfen den Manen des
grossen Mann in Kinopalästen hul-
digen. Wir brauchen nicht den ganzen
Roman lesen, wir bekommen den Geist
in Filmdosen versetzt. Ein stolzer Geist:
„Wir Kaufmannstöchter dürfen nicht
immer der Stimme unseres Herzens
folgen“. Les affaires sont les affaires.
Oder auf freideutsch: Hab und Gut gesellt
sich gern. Oder auf Manndeutsch: Freies

Weltbürgertum. Genau wie Goethe, der
nicht einmal in Lübeck geboren ist. Zu
erwähnen wäre noch, dass man Konkurse
am besten durch Eingreifen des Schwieger-
vaters abwendet. Dieser Geist von Lübeck
hat bekanntlich nach und nach die ge-
samte kultivierte Erde erobert. Das Gute
bricht sich Bahn (Thomas Mann).
Durch die kleine Presse erfährt man
einiges von dem Vortrag des Jubelgreises:
„In äusserst fein psychologischer Weise
verstand es Thomas Mann, in dem er
sich sozusagen neben sich selbst stellte,
psychologisch seine Werke zu erklären,
aus der Landschaft, in der er geboren,
aus der Meeresnähe und der Musik des
Meeres, die ihm die ersten geistigen
Inspirationen gaben.“ Das ist eine äusserst
fein psychologische Erklärung, die so-
zusagen den wässrigen Geist aus der
Seele der Landschaft erklärt. Aber damit
noch nicht genug: „Er findet aber auch
die Seele nicht des Einfach-Bürgerlichen,
sondern 'des Aristokratisch-Bürger-
lichen mit seiner zähen Tatkraft, die
schwere Hemmungen überwinden kann.“
Durch den Schwiegerpapapa. Der Einfach-
Bürgerliche muss sich durch den Inseraten-
teil der grossen Presse „Rat bei Zahlungs-
stockungen“ suchen. Ihm fehlt eben die
Meeresnähe. Aber Thomas Mann denkt
noch weiter für uns. Sozusagen noch
tiefer. Bis auf den Meeresgrund. Mit
reichen Schwiegervätern (aristokratisch-
bürgerlich) lässt sich sogar das ganze
deutsche Reich vergeistigen: „Diese Bür-
gerlichkeit ohne irgend einen Nebenton
sozialer Klassengegensätze hält er für
geeignet, ein freies Weltbürgertum zu
bilden aus dem deutschen geistigen Reich
der Mitte“. Schade, dass Herrn Bürger-
meister Neumann die Möglichkeit ge-
 
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