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Taine, Hippolyte
Reise in Italien (2. Band): Florenz et Venedig — Leipzig: Eugen Diederichs, 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.53634#0282
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27°

.SIEBENTER ABSCHNITT

und später Giovanni Bellini, verkünden schon die Herrlich-
keiten der späteren Meister. Diese haben fast immer, da
sie die Freske zu matt fanden, das Öl verwendet, und Vasari
wirft als wahrer Florentiner Tizian vor: „Sofort nach der
Natur zu malen, keine Zeichnung zu machen und zu glauben,
dass das wahre und beste Mittel, eine richtige Zeichnung
zu erlangen, darin bestände, auf der Stelle mit den Farben
selber zu malen, ohne vorher die Umrisse mit einem Blei-
stift auf Papier studiert zu haben.“
Ein zweiter und viel stärkerer Grund ist der, dass das
Klima äusser der Umgebung des Menschen auch sein Tem-
perament und seine Instinkte verwandelt. Die Physiologen
haben diese Wahrheit nur aufschimmern lassen, aber sie ist
sichtbar für den, der reist*. Der lebende Körper ist ein ver-
dichtetes, organisiertes, in die Atmosphäre getauchtes Gas,
das stetem Verlust und steter Erneuerung anheim gegeben
ist, so dass der Mensch ein stets von seiner Daseinssphäre
genährter Teil seiner Daseinssphäre ist. Je nachdem die
gesamte Maschine mehr oder weniger schnell oder müh-
sam absorbiert oder befreit, sind ihre Spannung und ihre
Bewegung verschieden, die Vorgänge im Gehirn wie alle
anderen hängen ab von der Schnelligkeit und Leichtigkeit
des Stromes, von dem sie, wie die anderen, eine Welle sind.
Ein Nordländer zum Beispiel verzehrt und verdampft zwei
oder dreimal soviel als ein Südländer und dafür ist seine
Empfindlichkeit, ich meine die Plötzlichkeit und Heftigkeit,
seine Erregungen zwei oder dreimal weniger gross. Man
vergleiche einen Bauern oder ein Pferd Holländisch-Fries-
lands mit einem Bauern oder einem Pferde des französischen
Berris, einen Italiener der Lombardei mit einem Italiener
* Man hat einige Versuche über die Wirkung der Fleischnahrung
angestellt. Französische Arbeiter, die zweimal weniger Arbeit als die
englischen lieferten, hat man mit Fleisch ernährt. Nach Verlauf eines
Jahres hatte sich ihre Arbeitsfähigkeit, das heisst, ihre Aufmerksam-
keit und ihre Muskelkraft, verdoppelt.
 
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