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ARCHITEKTUR

Viel tausendmal gepriesen sei die Herrlichkeit der Architektur!

Sie erfüllt die Bedürfnisse des Menschen nach Schutz vor den Un*
bilden des Wetters und den vielfältigen Gefahren, denen er ausgesetzt ist,
wenn er der Natur ohne Behausung gegenübersteht. So scheint ihre Rolle
im Dasein des Menschen eine bescheidene zu sein, diejenige einer»Zweck*
kunst«, die praktische Forderungen in anmutiger Form befriedigt. Erst wo
die menschlichen Wünsche über das bloß praktisch notwendige Maß hinaus*
greifen, wo ein Überschuß des Wohllebens nach Luxus verlangt, scheint sie
in höherem Maße in die Erscheinung zu treten und stärker ihr eigenes Ich
zu geben. Da scheint sie nicht mehr so eng an die Notdurft gebunden und
darum als Kunst erst wirklich vorhanden zu sein.

Im großen Ganzen ist dies die Anschauung, mit welcher die Allgemein*
heit der Baukunst und den ihr Dienenden heute gegenübertritt. Es brauchten
sich darum die Architekten noch nicht zu beklagen. Es ist wirklich schon
viel, jene immer aufs neue sich wiederholenden und steigernden Bedürf*
nisse, ohne die es keine Pflege des Menschentums gibt, in Formen zu er*
füllen, welche im reinsten Einklang zu den Zwecken stehen und durch ihre
innere Wahrhaftigkeit läuternd und fördernd im Kulturganzen wirken. Da
es sich aber hier schon um Formen, also Schöpfungen der Phantasie, wenn
auch in bescheidenem Maße, handelt, so muß die Bedeutung und der Wert
der Phantasie in allen den Fällen viel stärker hervortreten, wo der Luxus zur
Triedfeder wird und das Praktische keine engen Grenzen mehr zieht. Hier
handelt es sich nicht mehr um denEinklangderForm mit demZweck.da über
diesen hinaus das Formenspiel mit zur Steigerung des Lebensgenusses dienen
soll. Es handelt sich hier schon um den Einklang mit einem höheren Zweck
als dem der bloßen Notdurft, und es zeigt sich, daß jene Auffassung von
der Architektur und dem wahren Beruf des Architekten doch wohl allzu eng
genommen ist.

Die Architektur nur in schön gestalteter Zweckerfüllung, in schmuckhafter
Einkleidung dessen zu sehen, was man nun einmal notwendig braucht, also
ihr die Rolle einer Art Kunstgewerbe zuzuweisen, das ist in der Tat eine
allzu geringschätzige Auffassung von ihrer Bedeutung. Es zeigt sich eben
schon bei jenen Bauten, die von einem Mehr als der bloßen Notdurft ver*
langt werden, daß sie als Kunst, als Spiel der Phantasie auftritt, das nur noch
ganz lose Beziehungen zu jenen Zwecken hat. Keine Tätigkeit der mensch*

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