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Taut, Bruno
Die Stadtkrone — Jena, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.29957#0114
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als in England übrig blieb, was sich zu fördern lohnte. Schöpferische Ideen
verdorren ohne die Macht der Empfindung, die ihnen den Weg bereitet.
Wenn man zu klein anfängt, bleibt man Ieicht im Kleinlichen stecken. Groß*
zügigeWerke müssen groß begonnen und unbegrenzt weitergeführt werden.
Das mangelnde Vertrauen in die Größe der Zeit ist oft nicht nur Ausgeburt,
sondern auch Ursprung ihrer inneren Schwäche, die durch brutale Kraft*
anstrengungen und Machtbegier nicht widerlegt, sondern bestätigt wird.

In der Leuchtkraft des Glases ist die Architektur von ihrer Schwere erlöst.
Wie die düstere Falte den Zorn, so schafft der lichte Anblick Heiterkeit
und Harmonie. Die gutgebaute Stadt läßt Menschen edler und besser zu-
sammenwohnen. Das große Wahrzeichen im Werk bringt sie dem großen
Ziele näher. Kunst und Künstler, Bau und Mensch gestalten sich wechseb
seitig und neu.

Weil der Stein kein gläsernes Leuchten hat, braucht der steinerne Bau,
die steinerne Stadt keine Qual zu sein. Schönheit kennt keine Grenzen —
wahrlich: man kann die Schönheit nie zu sehr lieben. Nicht um ein ästhe*
tisches Prinzip, nicht um die ästhetische Form windet sich der Kranz. Heilig
ist das Evangelium der Schönheit. Platos Idee, der kosmische Gedanke, die
Weltflucht, Gotik und Traum sind Weltenliebe und große Magie. Wie der
mittelalterliche Mensch vom Glaubensbekenntnis zu höherem Bewußtsein
schreitet, so steigt und schwillt die soziale Sphäre zum kosmischsgöttlich»
künstlerischen All.

Im wachen Traum, in seligem Erschauern sehen wir von fern das Land der
Schönheit, wo die Menschen den Haß und die Qual überwunden haben,
wo das Nebens und Gegeneinander sich zum Miteinander wandelt, wo der
Neid und die Gier nach Besitz dem Glück der Sanftmütigen und Frieds
fertigen gewichen sind. Wie wenige wissen, daß Sanftheit nicht zag und
schwach, Friedfertigkeit nicht feig und untertan macht. Im Morgenrot der
siegenden Sonne schreitet geistig verjüngt der Mensch, der um des Höheren
willen die niederen Sphären überwunden hat. Im Lichte des kommenden
Tages leuchten uns die Zinnen der ewigen Stadt. Sie zu bauen, sie schaffend
zu erleben ist höchste Lust.

Wir erleben den Zerfall ehemaliger großer Staatsgebilde unter demjubel
der bisher Bedrückten und Betrogenen, die nicht den rückläufigen Weg

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