Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
beruht nur darin, daß sie jedes zu seiner Zeit und an seinem Platze ist. Wer
möchte die Miniaturen der Wenzelbibel, die Kalenderbilder der »Tres riches
heures« bis hin zum Breviarium Grimani auch nur in einem Zuge anders
wünschen als sie sind in der unendlich liebevollen Zeichnung der feinen
Sträucher, über welche die Schwalbenfliegen, der bläulich spielenden Ochsen*
hörner, der scharfzackigen Steinkanten und des leichten dünnen Zaunes, der
vielen einzelnen Figuren in ihren mannigfachen Beschäftigungen, der Nähe
und der helleren Ferne mit Fläusern und Türmen, Burgen und Spitzen. Un*
berührbar sind diese Blätter in ihrer kiinstlerischen Reinheit. Und erst wenn
wir sie mitbeachten, dann erst verstehen wir ganz den Geist zu würdigen,
der völlig neu und gleichsam ohnedieDarstellungender Biicher zu kennen
— der Buchdeckel schließt sie ein — die große fremde Form des Kathedralen*
fensters schuf.

Reizend sind die Miniaturen, wie ein letzter feiner Hauch von der Schicht
des Materiellen mit liebenswiirdigen Händen gelöst. Und auch von einigen
der schönsten Bildwerke dieser Zeit ließ sich das sagen. Aber alle Materie
wird fiir das große Werk in den heißesten Schmelzofen geworfen, bis sich
die neue unirdische Masse des Glases gebildet hat, aus dessen körperloser
reiner Farbigkeit das Neue gebildet wird.

Einen ersten Schritt zur Mischung des Polaren könnte man schon finden
selbst im vielteiligen gotischen Altarbilde. Denn hier tritt zuerst die Malerei
aus der Einheit der Kunst heraus, und welche Kostbarkeiten immer diese
Werke sind, deren prangende Versammlung in der Akademie zu Siena ein
die Seele aufrührendes goldenes Fest bereitet, sie sind schon mehr Wirklich»
keit, Materie und Stoff als die Täfelungen aus Glas, die das Schönste ihrer
Wirkung von draußen, vom Lichte, vom Himmel her empfingen, in denen
sich gleichsam das demütig und zaghaft als Opfer dargebrachte Werk aus
Stein mit dem Lichte, den Sonnenstrahlen vermählte. Wenn tief und stark
der lichte Äther die Scheiben durchdrang, die Kraft der Farbe aus ihnen wie
Orgelton lösend und über Wände und Boden den bunten Widerschein
breitend, dann brachte das die Gewißheit, daß dieses Menschenwerk der
Gnade teilhaft geworden sei. Solchen mythischen Charakter haben die Altar»
tafeln nicht mehr, sie sind schon Dogma. Sie haben schon einen Rahmen
umsichherum. Ohne diesenvermögen sie nicht zu stehen. Und das unend»
liche Licht wird in ihnen schon zum Golde als Stoff.

Aber ihre Schönheit ist noch so voller Huld und Süße, daß sie wie ein

117
 
Annotationen