schlossen© Ernst zur tragischen Würde des menschlichen Lebens tritt uns in seinen Bildern entgegen.
Exekias ist nicht irgend ein Handwerker des Kerameikos, der Gefäße verziert, sondern ein selbständig
Wirkender am Teppich des Lebens.
WERK
Dreimal preist Exekias den schönen Onetorides: Auf der Berliner Herakles-Amphora (Taf. 1,2), auf der
vatikanischen Dioskuren-Amphora (Taf. 20, 21) und auf der Londoner Dionysos-Amphora (Taf. 25). Wie
lange wohl kam Onetorides dieser Preis zu? Zwingt dieser Preis die drei Gefäße zeitlich zusammen, weil
die Götter dem Menschen nur kurze Zeit die Schönheit gewähren? Sicher ist, daß diese drei Werke drei
verschiedenen Entwicklungsstufen des Meisters zugehören.
Das früheste Stück ist die Berliner Halsamphora mit dem Löwenkampf des Herakles (Taf. 1). Der Held
packt die Bestie mit dem linken Arm um den Hals. Mit der rechten Hand ergreift er die Vorderpranke
des feindlichen Tieres. In weiter Schrittstellung stemmt er sich gegen den aufgerichteten Leib des Löwen.
Die verschlungenen Körperteile der Kämpfenden entwickeln sich auf der Bildssäche in ausgebreiteter
Klarheit. Was hat es jedoch zu bedeuten, wenn diese gespreizte Haltung der Arme, dieses prachtvolle
Schreiten, das beim löwenwürgenden Herakles motiviert ist, auf den zuschauenden lolaos übertragen
wird? Die Ausbreitung der Körperteile in die Fläche geschieht hier aus dekorativem Zwang, aus der Not,
den Aufbau des Körpers durch die Sichtbarmachung aller Teile in ihrer sinnfälligsten Erscheinungsform
darzustellen. Die bekleidete Athena untersteht nicht ebenso diesem Gesetz6. Ihr bunter Peplos verdeckt
den Körper und setzt an die Stelle seiner organischen Struktur eine tektonisch gegliederte Fläche. Aber
das ist nur die Übertragung desselben Prinzips in eine andere Ausdrucksmöglichkeit.
Zu dieser Stufe gehört der parataktische Bau des Bildes. Wie figürliche Ornamente stehen die einzelnen
Gestalten auf dieser und der anderen Seite des Gefäßes nebeneinander, jede für sich eine Bildeinheit.
Das ist grundsätzlich anders beim Dioskurenbild der vatikanischen Amphora (Taf. 20). Hier ist die
Symmetrie bewußt ausgeschaltet, indem Kastor aus der Mittelachse weg nach rechts hin verschoben ist.
Überhaupt ist hier die dekorative Funktion der Figuren unwesentlich. Sie stehen nicht wie Ornamente
auf der freien Gefäßwand, sondern befinden sich auf einer begrenzten Bildssäche. Sie könnten freilich auch
durch den Zwang des Bildrahmens und der Flächenspannung in eine parataktische Ordnung gebracht und
gleichmäßig verteilt sein, wie die Figuren auf den frühen Bildern des Amasismalers7. Aber hier zeigt sich
nun sofort die einzigartige Selbständigkeit des Exekias: Er ordnet die Figuren nach ihrem seelischen Bezug.
Doch was geschieht in diesem Bild? Die Dioskuren sind heimgekehrt und werden liebevoll begrüßt:
Polydeukes von seinem Hund, Kastor von Mutter Leda, das Pferd Kyllaros von Vater Tyndareos. Poly-
deukes hat schon sein Pferd in den Stall gebracht, hat Mantel und Lanze abgelegt und erwartet bereits
den Diener mit Öl und frischer Kleidung, der klein und zierlich herbeikommt, während Kastor noch in
voller Reiseausrüstung samt seinem Pferde zurückgehalten wird durch die zärtliche Begrüßung der Eltern8.
6 Der mittlere Teil der Athenafigur ist modern.
7 W. Kraiker, Jahrbuch 44, 1929, 142.
8 Beazley, ABS. 19 deutet das Bild so: Kastor reitet aus, Polydeukes ist zurückgekehrt. Ist aber nicht den Dioskuren eigen-
tümlich, daß sie immer gemeinsam erscheinen?
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Exekias ist nicht irgend ein Handwerker des Kerameikos, der Gefäße verziert, sondern ein selbständig
Wirkender am Teppich des Lebens.
WERK
Dreimal preist Exekias den schönen Onetorides: Auf der Berliner Herakles-Amphora (Taf. 1,2), auf der
vatikanischen Dioskuren-Amphora (Taf. 20, 21) und auf der Londoner Dionysos-Amphora (Taf. 25). Wie
lange wohl kam Onetorides dieser Preis zu? Zwingt dieser Preis die drei Gefäße zeitlich zusammen, weil
die Götter dem Menschen nur kurze Zeit die Schönheit gewähren? Sicher ist, daß diese drei Werke drei
verschiedenen Entwicklungsstufen des Meisters zugehören.
Das früheste Stück ist die Berliner Halsamphora mit dem Löwenkampf des Herakles (Taf. 1). Der Held
packt die Bestie mit dem linken Arm um den Hals. Mit der rechten Hand ergreift er die Vorderpranke
des feindlichen Tieres. In weiter Schrittstellung stemmt er sich gegen den aufgerichteten Leib des Löwen.
Die verschlungenen Körperteile der Kämpfenden entwickeln sich auf der Bildssäche in ausgebreiteter
Klarheit. Was hat es jedoch zu bedeuten, wenn diese gespreizte Haltung der Arme, dieses prachtvolle
Schreiten, das beim löwenwürgenden Herakles motiviert ist, auf den zuschauenden lolaos übertragen
wird? Die Ausbreitung der Körperteile in die Fläche geschieht hier aus dekorativem Zwang, aus der Not,
den Aufbau des Körpers durch die Sichtbarmachung aller Teile in ihrer sinnfälligsten Erscheinungsform
darzustellen. Die bekleidete Athena untersteht nicht ebenso diesem Gesetz6. Ihr bunter Peplos verdeckt
den Körper und setzt an die Stelle seiner organischen Struktur eine tektonisch gegliederte Fläche. Aber
das ist nur die Übertragung desselben Prinzips in eine andere Ausdrucksmöglichkeit.
Zu dieser Stufe gehört der parataktische Bau des Bildes. Wie figürliche Ornamente stehen die einzelnen
Gestalten auf dieser und der anderen Seite des Gefäßes nebeneinander, jede für sich eine Bildeinheit.
Das ist grundsätzlich anders beim Dioskurenbild der vatikanischen Amphora (Taf. 20). Hier ist die
Symmetrie bewußt ausgeschaltet, indem Kastor aus der Mittelachse weg nach rechts hin verschoben ist.
Überhaupt ist hier die dekorative Funktion der Figuren unwesentlich. Sie stehen nicht wie Ornamente
auf der freien Gefäßwand, sondern befinden sich auf einer begrenzten Bildssäche. Sie könnten freilich auch
durch den Zwang des Bildrahmens und der Flächenspannung in eine parataktische Ordnung gebracht und
gleichmäßig verteilt sein, wie die Figuren auf den frühen Bildern des Amasismalers7. Aber hier zeigt sich
nun sofort die einzigartige Selbständigkeit des Exekias: Er ordnet die Figuren nach ihrem seelischen Bezug.
Doch was geschieht in diesem Bild? Die Dioskuren sind heimgekehrt und werden liebevoll begrüßt:
Polydeukes von seinem Hund, Kastor von Mutter Leda, das Pferd Kyllaros von Vater Tyndareos. Poly-
deukes hat schon sein Pferd in den Stall gebracht, hat Mantel und Lanze abgelegt und erwartet bereits
den Diener mit Öl und frischer Kleidung, der klein und zierlich herbeikommt, während Kastor noch in
voller Reiseausrüstung samt seinem Pferde zurückgehalten wird durch die zärtliche Begrüßung der Eltern8.
6 Der mittlere Teil der Athenafigur ist modern.
7 W. Kraiker, Jahrbuch 44, 1929, 142.
8 Beazley, ABS. 19 deutet das Bild so: Kastor reitet aus, Polydeukes ist zurückgekehrt. Ist aber nicht den Dioskuren eigen-
tümlich, daß sie immer gemeinsam erscheinen?
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