dann vermögen auch neue Funde, auf die wir hoffen, unsere Auslegung nicht zu widerlegen. Sie beruht ja
nicht nur auf stilistisch-graphologischen Merkmalen als den unnachahmlichen Kennzeichen seiner Hand,
sondern sie läßt sich leiten von seinem eigenen belebenden Blick, der die toten Stoffe und bloßen Figuren
zum Leben als Menschen erweckt. Das Mensch-Sein galt ihm aber in der Form der Sympathie und des
Gesprächs. Sein Weg von den Anfängen bis zur Dioskuren-Amphora legt davon Zeugnis ab, und auch
die späte Halsamphora mit dem Bild von Achill und Penthesileia (Taf. 25) bestätigt es. Über diese Be-
stimmung hinaus gibt es eine letzte Möglichkeit des Menschseins nur als Ausweg. Nachdem die menschlich
erfühlte und erfüllte Welt im „dramatisch“ komponierten Bild geschaffen war, nachdem das Sein des
Menschen im Logos, genauer: im Dia-logos, dargestellt war21, Trennung und Tod die Grenzen bedeuteten,
an denen sich die tragische Würde aufrichtet, mußte Alleinsein des Menschen im Selbstgespräch die letzte
menschliche Möglichkeit sein. Aias-Exekias vollzieht sie.
Es gibt eine späte Amphora des Meisters in Boulogne (Taf. 24), die in erschütternder Weise von dieser
Möglichkeit Kunde gibt: Aias hockt am Boden und gräbt sein Schwert ein, um sich hineinzustürzen. Er tut
es mit letzter Entschlossenheit. Er ist allein. Eine Palme und seine Waffen, — Helm, Schild und Lanze —
sind Zeugen dieses Geschehens, das nur noch einen Beteiligten kennt. Wieder, wie im Bilde der Brett-
spieler, bestätigt die Anwesenheit der stummen Dinge ihre bedeutungsvolle Zugehörigkeit zum mensch-
lichen Lebenskreis. Nicht nur die Tiere, wie im Dioskurenbild, auch die Dinge sind einbezogen in die
Welt der Sympathie und des Gesprächs.
Exekias hat die Einzelfigur, von der er ausging, aus ihrer dekorativen Starre befreit und in eine mensch-
liche Geschehniswelt überführt. Der Einzelne war jetzt in eine bildhaft geschlossene Gemeinschaft hinein-
gestellt. Nur ein Gott konnte alleiniger Träger eines eigenen Bildgeschehens sein. Der segelnde Dionysos
(Taf. 5) konnte ruhen. Denn das geblähte Segel, die schwankenden Trauben, die spielenden Delphine
leben ja nur von ihm. Dionysos braucht nur da zu sein, und die ganze Welt beginnt den seligen Reigen.
Doch dem Menschen ist es nicht gegeben, zu ruhen, er muß handeln bis zum bitteren Ende.
Aias ist allein. Der Dialog ist zum Monolog geworden24 25. Aber Aias ist kein Gott. Sein Alleinsein ist
ein Alleingelassensein, — von seinem Freunde Achill, der den Weg zur Unsterblichkeit angetreten hat,
von seinen Gefährten, die ihm das Einzige verweigern, das ihn davon abhalten könnte, Achill zu folgen.
Er bereitet das Schwert, das ihm den Weg weisen wird.
Auch dieses gewaltige Ereignis ist schon vor Exekias im Bilde dargestellt worden26. Aber es wurde die
vollendete Tat gezeigt: der ins Schwert gestürzte Aias. Exekias sieht seine Tragik in dem letzten Ent-
schluß. Nicht erst sein Tod, sondern schon sein Leben ist umwittert von den tragischen Spannungen, die
im Schicksal der Helden zur Entladung kommen. In der Dichtung hat erst Sophokles Worte gefunden,
24 t/pov Äoyov S/ov.
25 Derselbe Gesichtspunkt findet sich überraschenderweise bei Kurt Bauch, Die Kunst des jungen Rembrandt 25: „Die aus
Figuren aufgebaute Handlung war zu einem menschlichen Geschehnis entwickelt worden, dabei hatten die Menschen selbst
eigenes Leben gewonnen. Jetzt waren sie fähig, einzeln aufzutreten. Aus der besonderen und ausdrücklichen Gestaltung ihres
Beieinanderseins ließ sich jetzt etwas Neues entwickeln: das Alleinsein. Aus dem Dialog erst ergab sich die Möglichkeit des
Monologs. Alleinsein ist immer Alleingelassensein.“ Freilich handelt es sich hier um eine andere geschichtliche Lage und
deshalb auch um eine grundsätzlich andere Welthaltung. In formaler Hinsicht geht auch der Andokidesmaler einen ähn-
lichen Weg zum Bild der Einzelfigur, aber auch seine Haltung ist grundverschieden. S. Technau, Corolla L. Curtius.
26 In der korinthischen Malerei und auf argivisch-korinthischen Bronzereliefs: P. Wolters, AM. 20, 1895, 4751t. Payne,
Necrocorinthia 137.
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nicht nur auf stilistisch-graphologischen Merkmalen als den unnachahmlichen Kennzeichen seiner Hand,
sondern sie läßt sich leiten von seinem eigenen belebenden Blick, der die toten Stoffe und bloßen Figuren
zum Leben als Menschen erweckt. Das Mensch-Sein galt ihm aber in der Form der Sympathie und des
Gesprächs. Sein Weg von den Anfängen bis zur Dioskuren-Amphora legt davon Zeugnis ab, und auch
die späte Halsamphora mit dem Bild von Achill und Penthesileia (Taf. 25) bestätigt es. Über diese Be-
stimmung hinaus gibt es eine letzte Möglichkeit des Menschseins nur als Ausweg. Nachdem die menschlich
erfühlte und erfüllte Welt im „dramatisch“ komponierten Bild geschaffen war, nachdem das Sein des
Menschen im Logos, genauer: im Dia-logos, dargestellt war21, Trennung und Tod die Grenzen bedeuteten,
an denen sich die tragische Würde aufrichtet, mußte Alleinsein des Menschen im Selbstgespräch die letzte
menschliche Möglichkeit sein. Aias-Exekias vollzieht sie.
Es gibt eine späte Amphora des Meisters in Boulogne (Taf. 24), die in erschütternder Weise von dieser
Möglichkeit Kunde gibt: Aias hockt am Boden und gräbt sein Schwert ein, um sich hineinzustürzen. Er tut
es mit letzter Entschlossenheit. Er ist allein. Eine Palme und seine Waffen, — Helm, Schild und Lanze —
sind Zeugen dieses Geschehens, das nur noch einen Beteiligten kennt. Wieder, wie im Bilde der Brett-
spieler, bestätigt die Anwesenheit der stummen Dinge ihre bedeutungsvolle Zugehörigkeit zum mensch-
lichen Lebenskreis. Nicht nur die Tiere, wie im Dioskurenbild, auch die Dinge sind einbezogen in die
Welt der Sympathie und des Gesprächs.
Exekias hat die Einzelfigur, von der er ausging, aus ihrer dekorativen Starre befreit und in eine mensch-
liche Geschehniswelt überführt. Der Einzelne war jetzt in eine bildhaft geschlossene Gemeinschaft hinein-
gestellt. Nur ein Gott konnte alleiniger Träger eines eigenen Bildgeschehens sein. Der segelnde Dionysos
(Taf. 5) konnte ruhen. Denn das geblähte Segel, die schwankenden Trauben, die spielenden Delphine
leben ja nur von ihm. Dionysos braucht nur da zu sein, und die ganze Welt beginnt den seligen Reigen.
Doch dem Menschen ist es nicht gegeben, zu ruhen, er muß handeln bis zum bitteren Ende.
Aias ist allein. Der Dialog ist zum Monolog geworden24 25. Aber Aias ist kein Gott. Sein Alleinsein ist
ein Alleingelassensein, — von seinem Freunde Achill, der den Weg zur Unsterblichkeit angetreten hat,
von seinen Gefährten, die ihm das Einzige verweigern, das ihn davon abhalten könnte, Achill zu folgen.
Er bereitet das Schwert, das ihm den Weg weisen wird.
Auch dieses gewaltige Ereignis ist schon vor Exekias im Bilde dargestellt worden26. Aber es wurde die
vollendete Tat gezeigt: der ins Schwert gestürzte Aias. Exekias sieht seine Tragik in dem letzten Ent-
schluß. Nicht erst sein Tod, sondern schon sein Leben ist umwittert von den tragischen Spannungen, die
im Schicksal der Helden zur Entladung kommen. In der Dichtung hat erst Sophokles Worte gefunden,
24 t/pov Äoyov S/ov.
25 Derselbe Gesichtspunkt findet sich überraschenderweise bei Kurt Bauch, Die Kunst des jungen Rembrandt 25: „Die aus
Figuren aufgebaute Handlung war zu einem menschlichen Geschehnis entwickelt worden, dabei hatten die Menschen selbst
eigenes Leben gewonnen. Jetzt waren sie fähig, einzeln aufzutreten. Aus der besonderen und ausdrücklichen Gestaltung ihres
Beieinanderseins ließ sich jetzt etwas Neues entwickeln: das Alleinsein. Aus dem Dialog erst ergab sich die Möglichkeit des
Monologs. Alleinsein ist immer Alleingelassensein.“ Freilich handelt es sich hier um eine andere geschichtliche Lage und
deshalb auch um eine grundsätzlich andere Welthaltung. In formaler Hinsicht geht auch der Andokidesmaler einen ähn-
lichen Weg zum Bild der Einzelfigur, aber auch seine Haltung ist grundverschieden. S. Technau, Corolla L. Curtius.
26 In der korinthischen Malerei und auf argivisch-korinthischen Bronzereliefs: P. Wolters, AM. 20, 1895, 4751t. Payne,
Necrocorinthia 137.
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