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Teske, Hans
Thomasin von Zerclaere: der Mann und sein Werk — Heidelberg: Winter, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.47780#0206
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186

II. Thomasin von Zerclaere.

Niemand erhalte eine Gabe, die ihm nicht nützt oder gar schadet. Jedes
Geschenk soll angemessen sein, soll lauge ^vern nucle leben (14624).
Damit ist die Dichtung am Schluß und kann nunmehr geschickt in eine
abschließende Empfehlung des Werkes selbst auslnünden (14627ff.).
Thomasin von Zerclaere reiht sich mit seinem Welschen Gast ein
in das reiche Schrifttum der christlichen Kirche. Er benutzt Bausteine
verschiedenster Art. Er schöpft aus antiken Autoren, in die er auf der
Schule eingeführt worden ist, er entlehnt manches aus den Schrift-
stellern der jüngst vergangenen Zeit. Er steht auf den Schultern der
Kirchenväter. Alles Vorgefundene und Vorgedachte aber schweißt er
zu einem neuen, einheitlichen Werk zusammen, das so ganz sein eigen ist.
Keineswegs ist er wie etwa Wernher von Elmendorf ein bloßer Über-
setzer und Abschreiber oder auch nur ein unselbständiger Zusammen-
steller. Er ist selbständig. Selbständig im mittelalterlichen Sinn. Die
Tradition, die Überlieferung und damit das Weltbild als ganzes steht
fest. Auch für den, der einen eigenen Bau aufführt. Neuplatonische
Gedanken, stoisches Gut begegnen ihm nicht unmittelbar. Sie wirken
auf ihn nur insoweit sie bereits dieser christlichen Überlieferung an-
gehören, in sie eingegangen und von ihr ausgenommen sind.
Daher kann sein Werk auch nicht als ein moral-philosophisches
angesprochen werden. Vielmehr erkennen wir auf Schritt und Tritt
den Prediger und Moraltheologen. Theologisch ist die ständige Be-
Ziehung der Tugenden auf Gott und daD Leben im Jenseits, theologisch
ist die Behandlung der Güter dieser Welt, theologisch ist die Bewertung
des Rechtes nnd der mitte. Theologisch ist auch die Gesamtschau, die
alles Irdische als Gottes Schöpfung seinem unabänderlichen Gesetze
unterstellt, die Tugenden und ihr Verhältnis zu den Lastern, die das
Recht und die wüte an die staete bindet.
Das Weltbild, das Augustin entscheidend geformt hat, zu dem ein
Gregor und Isidor beigesteuert haben, ist auch das seine. Von ihm
erfüllt, schreibt er die Sittenlehre, die mit der Klage über die unstaete
dieser Welt anhebt, ihr Gottes Unwandelbarkeit gegenüberstellt und
im steten Aufblick zum Schöpfer aus den ewigen Ordnungen seiner
Schöpfung heraus die Pflichten der Herren nnd Knechte aufzeigt. So
wirken auch die Teile nicht als Fremdkörper, in welchen Thomasin
eigentlich theologische Dinge behandelt. Das ist einmal der Abschnitt
über die Berechtigung des Übels in der Welt (4501—5316), der in
starkem Maße dem heiligen Gregor verpflichtet istE. Ferner gehören
hierher die Anweisungen über das Gebet (10187—10334), das Fasten

E s. o. S. 176.
 
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