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^g IV. Michel Wolgemut.

Dürer über feine Lehrzeit bei Wolgemut berichtet: »In der Zeit ver-
lieh mir Gott Fleifs, dafs ich wohl lernte, aber viel von feinen
Knechten leiden mufste« 1). Statt auf den- Vorderfatz hat man bisher
zumeift auf den Nachfatz diefer Mittheilung den Nachdruck gelegt und
die Sache fo aufgefafst, als hätte Dürer bei Wolgemut mehr fchlechte
Behandlung als guten Unterricht erfahren. Dagegen ift zu bemerken,
dafs fich Dürer nirgends über feinen Lehrmeifter beklagt, vielmehr
bis an fein Lebensende in freundfchaftlichen Beziehungen zu ihm ge-
ftanden hat. Dafs aber ein Lehrknabe unter rohen Gefellen einer
Werkftatt zu leiden hatte, war gewifs zu jener Zeit fo wenig etwas
Ungewöhnliches, wie es etwa heutzutage noch etwas Seltenes ift. Man
denke nur an das Loos der kleinen Schützen bei den fahrenden
Schülern! Die Bedeutung jener Nachricht liegt nicht fowohl in der
ficher ganz gewöhnlichen Thatfache, die fie enthält, fondern vorzüglich
in der Perfönlichkeit des Berichterftatters. Das Wichtige und Neue
daran ift nur der tiefe Eindruck, den die unwürdige Behandlung in
einer zarter befaiteten Seele zurückliefs; es ift eben der moderne
Menfch, der fich gegen die ererbte Rohheit empört; der zum Bewufst-
fein perfönlicher Würde gelangte Bürger, der die als Kind erlittene
Schmach noch im Mannesalter nachempfindet. Uns aber gilt es, zu
unterfuchen, was Dürer mit dem »ihm von Gott verliehenen Fleifse«
bei Wolgemut lernen konnte, und zu.diefem Behufe muffen wir uns
zunächft fragen, was Michel Wolgemut felbft geleiftet hat.

Diefe Frage zu beantworten unterliegt ganz befonderen Schwierig-
keiten. Wenn wir uns mit noch unzulänglichen Hilfsmitteln daran
wagen, fo gefchieht es in der Ueberzeugung, dafs diefer Verfuch zur
weiteren Verfolgung unferes Gegenftandes unabweislich ift. Unfere
Beantwortung kann in keiner Hinficht auf Vollftändigkeit Anfpruch
machen, eher dürfte diefelbe nach mancher Seite der Berichtigung
bedürfen. Vielleicht dafs dadurch mittelbar doch einer befferen Wür-
digung des Meifters vorgearbeitet wird und Andere dann glücklicher
in der Löfung der hier noch obfchwebenden Räthfel fein werden.
Vorläufig verfuchen wir es, die Stelle, welche Wolgemut in der
deutfchen Kunftgefchichte einnehmen mufs, fo weit auszufüllen, als es
nothwendig ift, um das Wachsthum Dürers daraus ableiten zu können.

Was die Gemälde Michel Wolgemuts anbelangt, fo dürfen wir
uns nicht durch die Unzahl mehr oder minder roh angeftrichener
Bretter beirren laffen, die in Nürnberg und anderwärts mit feinem
Namen bezeichnet werden. Solcher blofs handwerksmäfsiger Erzeug-

I) Dürers Briefe, 74, 12 mit Anmerkung über die ungenaue Ueberlieferung der Stelle.
 
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