Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Pirkheimers Schweizerkrieg. 18,3

Eine andere Epifode feiner Erzählung kennzeichnet den Stand-
punkt des Humaniften vielleicht am heften. Von der verheerenden
Expedition durch das Engadin wird Pirkheimer vom Kaifer mit
200 Leuten über das Stilffer-Joch hinübergefandt nach Worms oder
Bormio, Proviants halber. Auf dem Wege dahin kommt er durch
cm grofses ausgebranntes Dorf, an deffen Ausgange zwei alte Weiber
an die 400 Kinder, Knaben und Mädchen, gleich einer Herde vor
fich hertreiben. Alle find fo blafs und mager und fo kraftlos, dafs
ihr Anblick Schaudern erregt. Pirkheimer fragte nun die beiden Alten,
wo fie mit dem unglücklichen Haufen hin wollten. Kaum konnten
he ihm antworten vor Schwäche und Schmerz und ihm fagen, er werde
es felbft gleich fehen. Hierauf zogen fie auf eine Wiefe, wo fie, kaum
angelangt, fämmtlich, grofs und klein, niederfielen und Pflanzen aus-
riffen und gierig verzehrten. Bei diefem Anblick fühlt fich Pirkheimer
anfangs ganz betäubt, endlich bricht er in Thränen aus über folchen
Jammer. Die Alten aber erzählen ihm, wie die Väter diefer Unglück-
lichen im Kriege gefallen, ihre Mütter in Kummer und Elend ver-
kommen und verfprengt, ihre Wohnungen verbrannt und fie felbft
von aller Welt verlaffen wären; der Haufe diefer armen Kleinen wäre
noch viel gröfser gewefen, Hunger und Tod hätten denfelben fchon
i° gemindert, und fie hofften bald alle an die Reihe zu kommen.
Daneben konnte der Gelehrte noch bemerken, dafs die Kinder den
'äuerlichen Kräutern den Vorzug gaben und diefelben durch den
blofsen Anblick zu erkennen wufsten.

Seit die Welt von den Schrecken des Krieges heimgefucht wird,
"t gar viel folch' unfäglichen Elends über die Menfchen ergangen.
Aber es fand fich niemand in der harten alten Zeit, der es der Mühe
Werth gefunden hätte, ihrem Jammer eine ernftere Betrachtung und
Theilnahme zu widmen. Endlich ift die Zeit um, der Menfch wird
menfehlich, er lernt fich fühlen in fich felbft, in Anderen, in fei-
nem Volke, in feinem ganzen Gefchlechte! Und wir fehen einen
deutfehen Kriegsoberften erbeben und Thränen vergiefsen, angewan-
delt von jenem Gefühle, dem unfer Dichter mit den edlen Worten
Ausdruck gegeben hat: »Der Menfchheit ganzer Jammer fafst mich
an«! Aus folchen Empfindungen fpricht der Geift der Humanität,
der fich loslöft von der mittelalterlichen Weltanfchauung und in der
Rückkehr zur Natur und zum Menfchen für den neuen Inhalt die
neue Form des Ausdrucks findet. Sie kennzeichnen Pirkheimer ebenfo
wie Dürer als Bürger einer befferen Zeit, als moderne Menfchen.
 
Annotationen