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244 ^er zwe'te Aufenthalt ia Venedig.

einen Madonnenkopf von fanftem, ungemein edlem Ausdruck; ein
anderer, gleichfalls von länglichem Oval und nach vorne herabblickend
unter dem Schleier, erinnert an Lionardos Mailänder Frauentypus
fowohl in den Formen wie in dem zauberhaften Lächeln; die lebens-
grofse Kohlezeichnung befindet üch im Berliner Cabinet neben einer
anderen nach jenem jungen Weibe mit den fchwer herabfinkenden
Augenlidern. Merkwürdig aber ift der Kopf eines fchönen Weibes in
der Kunfthalle zu Bremen, mit entblöfstem Hälfe, die Haare mittels
eines Stirnbandes gehalten und rückwärts zufammengebunden, bei-
nahe lebensgrofs, in Silberftift entworfen. Sie lacht auf, dafs beide
Zahnreihen fichtbar werden, und doch hat der Mund nichts Fratzen-
haftes — man möchte mitlachen mit diefer ausgelaffenen, in kräfti-
ges Deutfeh übertragenen Mona Lisa Gioconda. Hieher gehört auch
der junge Mann, der mit verfchmitzter Heiterkeit unter feinem
Kraushaar hervorblickt, eine Federzeichnung in der Sammlung des
Mr. Locker in London 1). Alle diefe Köpfe, meift in Kohle oder Stift
fkizziert, tragen die Jahreszahl 1503. Daran fchliefst fich dann die
lange Reihe ähnlicher Kopfftudien, deren Höhepunkt fpäter die
mannigfachen, von Dürer mit fo viel Vorliebe gefuchten Apofteltypen
bilden. Erwähnt feien nur noch zwei Silberftiftzeichnungen aus der
Sammlung Hausmanns in Braunfchweig, das leider fchadhafte Bild-
nifs von Dürers Frau vom Jahre 1504 -) und aus derfelben Zeit etwa
die beifolgende Profilfkizze des Freundes Pirkheimer. Mit wenigen
Strichen ift uns hier der luftige Weltweife von Nürnberg am Leben
erhalten, fo wie er in feinen beften Jahren die gelehrten Sodalen be-
wirthete mit Speife und Trank und mit den derben Späfschen, deren
einer wohl von feiner eigenen Hand in eben fo gutem als obfcönem
Griechifch dem Bildniffe beigefchrieben fleht 3).

Der belebende Duft, die feelifche Atmofphäre, welche über
diefen rafch feftgehaltenen Gefichtszügen lagerte, hielt allerdings bei
der Ausführung eines Kopfes in Oel oder in Kupferftich nicht ftand.
Manches davon mufste der anfpruchsvollen, minutiöfen Technik zum
Opfer fallen. Die tiefere Erfaffung des Porträtftudiums aber ift die
Grundlage moderner Hiftorienmalerei. Kann das Menfchenantlitz erft
die pfychifchen Vorgänge; die Keime der Willensäufserung wieder-

1) Burlington fine Arts Club Catalogue,
1869. Nr. 151.

unüberfetzbare Auffchrift, gleichzeitig mit
demfelbem Silberftift gefchrieben lautet:

2) Siehe oben S. 110. und die Initiale "Aqosvos xy \pwXy ic zbv itQcoxröv. Die
jenes Capitels. Zeichnung beweift zugleich, dafs das Bild-

3) Vergl. Jahrb. f. Kunftw. III. 240 fr. I nifs von 1505 ln der Galerie Borghese zu
meine Anzeige von Lochners: Perfonen- Rom ebenfowenig Pirkheimer vorftellt, als
namen in A. Dürers Bri-efen. Die hier ' es von Dürer gemalt ift.
 
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