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C22 XVII. Krankheit, Tod und fchriftlichcr Nachlafs.

viel er auch in der Folge noch darüber nachgedacht und ge-
fchrieben hat, er ift darüber doch nicht hinausgekommen. Freilich
ift damit dem fchaffenden Künftler a priori kein Wink, keine
Hilfe geboten, fondern blofs eine nachträgliche Erfahrung. Dürers
Gleichnifs ftimmt aber: Die Kunft eines Volkes ift'gewachfen, wie
fein Recht, und fo wie das Gute, ift auch das Schöne nicht das Ver-
ftandesproduct eines Einzelnen, fondern das Ergebnifs einer langen
Reihe und eines reichen Inbegriffes von wirkenden Kräften, feien
diefelben nun auf viele Individuen vertheilt oder durch glückliche
Fügung in einem einzigen Genius vereinigt. Ein folcher war aller-
dings Dürer. Doch blieb bei aller feiner Speculation fein künftlerifches
Schaffen ein urfprüngliches und naives; ja feine Unbefangenheit und
Freiheit nahm in den fpäteren Jahren eher zu als ab. Sobald er
auf das Wefen der künftlerifchen Thätigkeit zu fprechen kömmt, dann
weifs er nichts mehr von der Theorie, weder von der Nachahmung
der Antike, noch von der Compofition aus Bruchftücken der Natur,
nichts von Meffung und Speculation. Nicht mit Hilfe folcher Krücken,
fondern in kühnem Wettlaufe mit dem breiten Strome der Natur
glaubt er zu einer höheren Harmonie feines Werkes zu gelangen,
indem er fpricht:

»Aber das Leben in der Natur giebt zu erkennen die Wahrheit
diefer Dinge; darum fieh' fie fleifsig an, richte dich darnach und
geh' nicht von der Natur ab in deinem Gutdünken, dafs du wolleft
meinen, das Beffere von dir felbft zu finden, denn du würdeft ver-
führt. Denn wahrhaftig fteckt die Kunft in der Natur; wer fie heraus
kann reifsen, der hat fie. Ueberkommft du fie, fo wird fie dir viel Fehls
nehmen in deinem Werk. . . . Aber je genauer dein Werk dem Leben
gemäfs ift in feiner Geftalt, defto beffer erfcheint dein Werk. Und
dies ift wahr; darum nimm dir nimmermehr vor, dafs du etwas beffer
mögeft oder wolleft machen, als Gott es feiner erfchaffenen Creatur
zu wirken Kraft gegeben hat, denn dein Vermögen ift kraftlos gegen
Gottes Schaffen. Daraus ift befchloffen, dafs kein Menfch aus eigenen
Sinnen nimmermehr kein fchönes Bild machen könne, es fei denn,
dafs er davon durch vieles Nachbilden fein Gemüth voll gefafst habe;
das ift dann (aber) nicht mehr Eigenes genannt, fondern überkommene
und gelernte Kunft geworden, die fich befamet, erwächft und ihres
Gefchlechtes Früchte bringt. Daraus wird der verfammelte heimliche
Schatz des Herzens offenbar durch das Werk und die neue Creatur,
die einer in feinem Herzen fchafft in der Geftalt eines Dinges«. Das
ift wohl einer der fchönften Ausfprüche, den je ein Künftler über
feine Thätigkeit gemacht hat, und zwifchen den Zeilen lefen wir
 
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