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Thausing, Moritz
Dürer: Geschichte seines Lebens und seiner Kunst — Leipzig, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.4925#0557
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Ueber Natur, Kunft und künftlerifches Schaffen. e22

etwas von der Erhebung, mit welcher der Meifter fich in Gemeinfchaft
mit der Schöpferkraft Gottes weifs. Ein »heimlicher Schatz des
Herzens« ift ihm der innerliche Geftaltenreichthum und deffen Ergüffe
im Kunftwerke bekunden fich als »neue Creaturen«, als die im Geifte
empfangenen und geborenen, nicht äufseriichem Anlaffe entflammen-
den oder von fremdem Vorbilde abhängigen Aeufseruncen einer
ganzen Künftlernatur. Und daraus folge, fügt Dürer hinzu, dafs ein
wohlgeübter Künftler nicht zu einem jeglichen Bilde Studien nach
der Natur zu machen brauche, »denn er geufst genugfam heraus was
er lange Zeit von aufsen hinein gefammelt hat; ein folcher hat gut
machen in feinem Werke, aber gar wenige kommen zu diefem Ver-
ftändniffe« ').

Die Worte ftimmen gut zu der Art, wie Dürer feine fpäteren
Werke gefchaffen hat. So hoch er aber auch feinen Künftlerberuf
hält, dafs er darin gar einen Abglanz von Gottes Wirken erblickt, fo
liegt darin doch keine perfönliche Ueberhebung. Seine eigene Kunft-
production fowohl, wie fein theoretifches Wirken glaubt er gleicher-
weife noch gar weit entfernt von einer befriedigenden Vollendung.
Er ahnt viel fchönere Bildwerke, als er fie hervorzubringen vermag;
er träumt davon: »Ach wie oft feh' ich grofse Kunft und gute Dinge
im Schlaf, desgleichen mir wachend nicht fürkommt, aber fo ich er-
wache , fo verliert mir's das Gedächtnifs«. Dürer täufcht fich auch
nicht darüber, dafs wir zur vollen Erkenntnifs der Wahrheit nie ge-
langen, und er fchreibt daher in Bezug auf die Proportionen des
Menfchenkörpers; »Aber unmöglich bedünkt es mich, fo einer fpricht,
er wiffe das befte Mafs in menfchlicher Geftalt anzuzeigen, denn die
Lüge ift in unferer Erkenntnifs und die Finfternifs fteckt fo hart in
uns, dafs auch unfer Nachtappen fehlt«. Das entmuthigt ihn aber
keineswegs, denn gleich Leffing fieht er in dem Streben nach Wahr-
heit einen Titel der Menfchenwürde, und mit Entrüftung weift er den
Verzicht darauf zurück: »So wir nun zu dem Allerbeften nicht
kommen können, wollen wir nun gar von unferer Lernung laffen?
Den viehifchen Gedanken nehmen wir nicht an, denn die Menfchen
haben Arges und Gutes vor fich, darum ziemt es fich einem ver-
nünftigen Menfchen das Beffere vorzunehmen« 2).

Und fühlt er fich auch nicht im Stande, alle Fragen, die er für
die Zukunft der Kunft für wichtig hält, zu beantworten, fo will er doch
zu ihrer Löfung das Seinige beitragen, denn er hofft: »Von den
Dingen und Künften der Malerei werden annoch Viele fchreiben-

I) Proportionslehre III. fol. T ml). 2) Proportionsl. III. Till".

Zahn, Dürers Kunftlehre S4.
 
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