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Zur Geschichte der Minarette
teristische dreifache Abstufung. Dafür stets ein hoch aufgehender, im Grundriß quadratischer Turm mit senkrechten
Kanten und von geschlossener Massivität. Oben ein bequemer Umgang und weit zurücktretend ein kleiner, ausnahms-
los viereckiger Baukörper, bekrönt von einer Kuppel oder häufiger einem spitzen, pyramidenförmigen Dach. Darauf
dann die mit Kugeln verzierte Messingspitze, welche endlich als eine türkische Zutat der Halbmond schmückte. Der
Rand der Plattform ist mit Zinnen besetzt, der hohe viereckige Hauptbau an den Ecken durch glatte Lissenen ein-
gefaßt, die breiten Mittelflächen dazwischen sind in horizontal übereinander angeordnete Felder abgeteilt. In der Mitte
sitzen Bogenfenster, einfach oder paarweise von Bogenmotiven umrahmt. Oft füllt eine Art Netzmuster die ganze
Fläche zwischen den Lissenen aus. Durch ein oder mehrere Reihen Blendarkaden ist meist der oberste Teil des
Hauptgeschosses ausgezeichnet. Das Material ist Backstein mit Gipsverputz und Emailverzierung. Hausteine, meist
antike Werkstücke, dienen nur hin und wieder als Sockelschicht. Wenn die Treppen innen nicht als Rampen, sondern
in Stufen angelegt wurden, brachte dies lediglich der kleinere Maßstab des Ganzen mit sich.
Diese Turmform ist in Afrika also eine relativ junge und fremde, eine entlehnte, keine bodenständige. Sie ist dort
nicht eigentlich zu Hause, sondern von Spanien aus herübergekommen. Diese Tatsache nachgewiesen zu haben, ist
gleichfalls das Verdienst von Marcais. Vgl. in seinem vortrefflichen Buche „Monuments de Tlemcen" besonders p. IV
und p. 109. Die Blüte der arabischen Kultur des Westens liegt vom 9. Jahrh. ab in Spanien, nicht in Mauretanien,
und damit auch die architektonische schöpferische Kraft auf europäischem, nicht auf afrikanischem Ufer. Dann ist es zu-
nächst das nähere Marokko, welches, ja teilweise auch politisch ein und dieselbe Domäne mit Spanien bildend, die von
da empfangenen Einwirkungen nach Osten zurück vermittelt, nach Algier und Tunis weitergibt. In Spanien selbst
war es, wie oben dargetan, zuerst Cordoba, dann Sevilla, endlich Granada, welches auf die Kunst des islamischen
Westreiches eingewirkt, ja sie eigentlich begründet hat. So entspricht es durchaus dem geschichtlichen Hergang,
wenn keiner der nordafrikanischen Türme dieser Gestalt, soweit sie sich überhaupt datieren lassen, früher fällt als die
Giralda. Die beiden mächtigsten sind ihr sogar gleichzeitig: die Minarette von Rabat und von Marrakesch. Sie bilden
zusammen eine Trias, die überdies auf einen einzigen Bauherrn, den Almohadensultan Jaqub al-Mansur, und einen ein-
zigen Architekten zurückgeführt wird. Bezeichnenderweise stammt dieser aus Spanien: Geber von Sevilla (vgl. oben
S. 5, Maqqari; Marcais, Monuments de Tlemcen p. 33, note I u. p. 36). Dies Hinübergreifen der andalusischen Kunst
nach Nordafrika dauert in Marokko das ganze 13. Jahrh. an, es setzt sich in gleicher Stärke im 14. Jahrh. in Algier
fort und war hier von da an nie mehr ganz zu verdrängen.
Die Monumente von Marokko sind noch wenig bekannt. Eine Publikation von Doutte, die diesem Mangel ab-
helfen soll, ist erst in Vorbereitung. Photographien der beiden wichtigsten Türme verdanke ich wiederum van Berchem.
Abbildungen der jungen Minarette von Chelani gibt der Artikel „Maroc" in der „Grande Encyclopedie", tome 23.
Abb. 159. Minarelruine in Kalaa beni Hammad *"ach Q' de Pran8e>')- Abb. 160. Das Minarel der Hauptmoschee („Kutubije") in Marrakesch
(nach C Roberl, La Kalaa el Tihamamine). (nach Photographie).
Zur Geschichte der Minarette
teristische dreifache Abstufung. Dafür stets ein hoch aufgehender, im Grundriß quadratischer Turm mit senkrechten
Kanten und von geschlossener Massivität. Oben ein bequemer Umgang und weit zurücktretend ein kleiner, ausnahms-
los viereckiger Baukörper, bekrönt von einer Kuppel oder häufiger einem spitzen, pyramidenförmigen Dach. Darauf
dann die mit Kugeln verzierte Messingspitze, welche endlich als eine türkische Zutat der Halbmond schmückte. Der
Rand der Plattform ist mit Zinnen besetzt, der hohe viereckige Hauptbau an den Ecken durch glatte Lissenen ein-
gefaßt, die breiten Mittelflächen dazwischen sind in horizontal übereinander angeordnete Felder abgeteilt. In der Mitte
sitzen Bogenfenster, einfach oder paarweise von Bogenmotiven umrahmt. Oft füllt eine Art Netzmuster die ganze
Fläche zwischen den Lissenen aus. Durch ein oder mehrere Reihen Blendarkaden ist meist der oberste Teil des
Hauptgeschosses ausgezeichnet. Das Material ist Backstein mit Gipsverputz und Emailverzierung. Hausteine, meist
antike Werkstücke, dienen nur hin und wieder als Sockelschicht. Wenn die Treppen innen nicht als Rampen, sondern
in Stufen angelegt wurden, brachte dies lediglich der kleinere Maßstab des Ganzen mit sich.
Diese Turmform ist in Afrika also eine relativ junge und fremde, eine entlehnte, keine bodenständige. Sie ist dort
nicht eigentlich zu Hause, sondern von Spanien aus herübergekommen. Diese Tatsache nachgewiesen zu haben, ist
gleichfalls das Verdienst von Marcais. Vgl. in seinem vortrefflichen Buche „Monuments de Tlemcen" besonders p. IV
und p. 109. Die Blüte der arabischen Kultur des Westens liegt vom 9. Jahrh. ab in Spanien, nicht in Mauretanien,
und damit auch die architektonische schöpferische Kraft auf europäischem, nicht auf afrikanischem Ufer. Dann ist es zu-
nächst das nähere Marokko, welches, ja teilweise auch politisch ein und dieselbe Domäne mit Spanien bildend, die von
da empfangenen Einwirkungen nach Osten zurück vermittelt, nach Algier und Tunis weitergibt. In Spanien selbst
war es, wie oben dargetan, zuerst Cordoba, dann Sevilla, endlich Granada, welches auf die Kunst des islamischen
Westreiches eingewirkt, ja sie eigentlich begründet hat. So entspricht es durchaus dem geschichtlichen Hergang,
wenn keiner der nordafrikanischen Türme dieser Gestalt, soweit sie sich überhaupt datieren lassen, früher fällt als die
Giralda. Die beiden mächtigsten sind ihr sogar gleichzeitig: die Minarette von Rabat und von Marrakesch. Sie bilden
zusammen eine Trias, die überdies auf einen einzigen Bauherrn, den Almohadensultan Jaqub al-Mansur, und einen ein-
zigen Architekten zurückgeführt wird. Bezeichnenderweise stammt dieser aus Spanien: Geber von Sevilla (vgl. oben
S. 5, Maqqari; Marcais, Monuments de Tlemcen p. 33, note I u. p. 36). Dies Hinübergreifen der andalusischen Kunst
nach Nordafrika dauert in Marokko das ganze 13. Jahrh. an, es setzt sich in gleicher Stärke im 14. Jahrh. in Algier
fort und war hier von da an nie mehr ganz zu verdrängen.
Die Monumente von Marokko sind noch wenig bekannt. Eine Publikation von Doutte, die diesem Mangel ab-
helfen soll, ist erst in Vorbereitung. Photographien der beiden wichtigsten Türme verdanke ich wiederum van Berchem.
Abbildungen der jungen Minarette von Chelani gibt der Artikel „Maroc" in der „Grande Encyclopedie", tome 23.
Abb. 159. Minarelruine in Kalaa beni Hammad *"ach Q' de Pran8e>')- Abb. 160. Das Minarel der Hauptmoschee („Kutubije") in Marrakesch
(nach C Roberl, La Kalaa el Tihamamine). (nach Photographie).