Nanni wird verjagt.
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zu beurlauben, denn eine grössere Gnade könnte mir nicht
zu Theil werden. Und mit aller Ehrfurcht küsse ich in
Demuth Eurer Erlauchtesten und Hochwürdigsten Herrlichkeit
die Hand.“ (Lett. S. 558.)
Das Gesuch wurde 'nicht angenommen. In einem Breve
ertheilte Pius IV. dem Künstler volle Autorität und verbot
jede Abweichung von dessen Plänen. Doch selbst dies konnte
nicht hindern, dass die Deputirten Michelangelos Wunsch,
einen ihm vertrauten Pier Luigi genannt Gaeta zum Ober-
aufseher der Arbeiten zu machen, durchkreuzten und dem
gehässigsten Gegner: Nanni di Baccio Bigio, der ihn schon
1562 heimtückisch befehdet, 1563 die Stellung übertrugen. Das
Erste, was dieser that, war die Formulirung einer neuen An-
klage gegen den Meister, doch auch das Letzte, denn die
vom Papst angeordnete Untersuchung ergab die vollständige
Nichtigkeit der Anschuldigungen, und Nanni wurde mit
Schimpf und Schande von dannen gejagt. Aber die Frist,
welche Michelangelo zur Ausführung seines Werkes vergönnt
blieb, war nur noch eine kurze. Hass und Neid haben nicht
geruht, sein Leben zu verbittern, bis der letzte Athem-
zug ihm den Frieden gab. Qualen und Qualen und Qualen!
Die Phantasie wurde an der Realität zu Nichte. Sie brauchte
Nichts mehr misstrauend vorauszusetzen, denn mit nackter
Thatsächlichkeit und Grausamkeit kam das Wirkliche ihren
Vorstellungen zuvor. Abgewandt von der Welt, von schwär-
merischem Wahne wie von bangendem Argwohn befreit, lebte
und wirkte sie nur noch in ihrem eigensten unberührbaren
heiligen Reiche durch das Schauen ewiger Ideen. Alle San
Gallos und Nannis haben es nicht zu verhindern vermocht,
dass dort über der Vierung der Peterskirche, ein Abbild himm-
lischer Freiheit, die Kuppel schwebt, erhabener und herrlicher,
als je ein Wunderbau es gewesen, nicht ein von Menschen-
händen gethürmtes Werk, sondern das von Engeln empor-
getragene Gebet einer ihres Gottes vollen Seele!
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zu beurlauben, denn eine grössere Gnade könnte mir nicht
zu Theil werden. Und mit aller Ehrfurcht küsse ich in
Demuth Eurer Erlauchtesten und Hochwürdigsten Herrlichkeit
die Hand.“ (Lett. S. 558.)
Das Gesuch wurde 'nicht angenommen. In einem Breve
ertheilte Pius IV. dem Künstler volle Autorität und verbot
jede Abweichung von dessen Plänen. Doch selbst dies konnte
nicht hindern, dass die Deputirten Michelangelos Wunsch,
einen ihm vertrauten Pier Luigi genannt Gaeta zum Ober-
aufseher der Arbeiten zu machen, durchkreuzten und dem
gehässigsten Gegner: Nanni di Baccio Bigio, der ihn schon
1562 heimtückisch befehdet, 1563 die Stellung übertrugen. Das
Erste, was dieser that, war die Formulirung einer neuen An-
klage gegen den Meister, doch auch das Letzte, denn die
vom Papst angeordnete Untersuchung ergab die vollständige
Nichtigkeit der Anschuldigungen, und Nanni wurde mit
Schimpf und Schande von dannen gejagt. Aber die Frist,
welche Michelangelo zur Ausführung seines Werkes vergönnt
blieb, war nur noch eine kurze. Hass und Neid haben nicht
geruht, sein Leben zu verbittern, bis der letzte Athem-
zug ihm den Frieden gab. Qualen und Qualen und Qualen!
Die Phantasie wurde an der Realität zu Nichte. Sie brauchte
Nichts mehr misstrauend vorauszusetzen, denn mit nackter
Thatsächlichkeit und Grausamkeit kam das Wirkliche ihren
Vorstellungen zuvor. Abgewandt von der Welt, von schwär-
merischem Wahne wie von bangendem Argwohn befreit, lebte
und wirkte sie nur noch in ihrem eigensten unberührbaren
heiligen Reiche durch das Schauen ewiger Ideen. Alle San
Gallos und Nannis haben es nicht zu verhindern vermocht,
dass dort über der Vierung der Peterskirche, ein Abbild himm-
lischer Freiheit, die Kuppel schwebt, erhabener und herrlicher,
als je ein Wunderbau es gewesen, nicht ein von Menschen-
händen gethürmtes Werk, sondern das von Engeln empor-
getragene Gebet einer ihres Gottes vollen Seele!
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