Die Leda
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sich die Flügel wie Arme aus und dienen der ganzen Gruppe als
Hintergrund; auf dem Gemälde entsprechen sie der Bewegung des
Thieres und verstärken den Eindruck des stürmischen Andranges.
Von den Armen Ledas dient dort der eine in bequemer Haltung
als Stütze des Körpers, der andere ist entweder gar nicht sichtbar
oder es ist ihm kein besonderes Motiv zugetheilt; bei Michelangelo
ist der eine Arm in höchst charakteristischer Bewegung zurück-
geworfen, der andere dient nicht bloss die Gestalt Ledas selbst,
sondern die ganze Gruppe fester zusammenzuschliessen. Ebenso
hat das auf den Sarkophagen ausgestreckte Bein bei Michelangelo
durch die veränderte Bewegung neue Bedeutung gewonnen; zugleich
ist dadurch der Vortheil erzielt, die ganze Komposition erheblich
zu kürzen und besser abzurunden." Durch die aufrechte Haltung
des Schwanes in den Antiken, die im Gemälde in die anschmiegende
verwandelt wird, ergiebt sich die freie Bewegung des Halses, dessen
Kopf Ledas Munde zustrebt. Der Antike entnommen ist auch das
Gewandstück und die polsterartige Rückenlehne.
Jeder Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung Michaelis' er-
scheint ausgeschlossen. Gäbe es aber einen solchen, so würde er
definitiv durch den von mir aufgefundenen ersten Entwurf zum Ge-
mälde im Louvre Nr. I beseitigt. Denn hier tritt die Beziehung zu
der Antike in dem vorderen Arm der Leda und in der Hals-
bewegung des Schwanes noch deutlicher hervor.
Wenn Michaelis weitergeht und die Ähnlichkeit der „Nacht"
und der „Leda" daraus erklärt, dass auch für die „Nacht" Michel-
angelo schon das Ledarelief vorgeschwebt hat, so wird dagegen
kaum Ernstliches einzuwenden sein.
4. Zusammenfassendes.
Aus dem Karton und dem Gemälde in London, sowie aus dem
Stiche Enea Vicos zog Michaelis den Schluss, auf dem Gemälde
sei die Geburt der Dioskuren nicht dargestellt gewesen. Condivis
und Vasaris Aussagen seien auf das Missverständniss eines Beiden
zu Ohren gekommenen Berichtes zurückzuführen. Die dem Künstler
von ihnen zugemuthete Prolepsis sei eine Geschmacklosigkeit. Dieser
Meinung widersprach Woermann, indem er auf den Stich des C. Bos
und die beiden Kopien hinwies, welche das Ei und die Dioskuren
zeigen, Enea Vicos Komposition als unabhängig von Michelangelo
hinstellte und eine Verkürzung des Londoner Bildes als möglich
annahm. Unsere weitergehende Untersuchung bestätigt Woermanns
Urtheil. Die Rosini'sche Abbildung des Kartons Nr. IV zeigt, dass
auch auf ihm die Kinder dargestellt waren; Vicos Stich erwies sich
als die Kopie eines Entwurfes zu dem Gemälde; die Glaubwürdig-
keit Vasaris wurde durch die Thatsache, dass er selbst den Karton
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sich die Flügel wie Arme aus und dienen der ganzen Gruppe als
Hintergrund; auf dem Gemälde entsprechen sie der Bewegung des
Thieres und verstärken den Eindruck des stürmischen Andranges.
Von den Armen Ledas dient dort der eine in bequemer Haltung
als Stütze des Körpers, der andere ist entweder gar nicht sichtbar
oder es ist ihm kein besonderes Motiv zugetheilt; bei Michelangelo
ist der eine Arm in höchst charakteristischer Bewegung zurück-
geworfen, der andere dient nicht bloss die Gestalt Ledas selbst,
sondern die ganze Gruppe fester zusammenzuschliessen. Ebenso
hat das auf den Sarkophagen ausgestreckte Bein bei Michelangelo
durch die veränderte Bewegung neue Bedeutung gewonnen; zugleich
ist dadurch der Vortheil erzielt, die ganze Komposition erheblich
zu kürzen und besser abzurunden." Durch die aufrechte Haltung
des Schwanes in den Antiken, die im Gemälde in die anschmiegende
verwandelt wird, ergiebt sich die freie Bewegung des Halses, dessen
Kopf Ledas Munde zustrebt. Der Antike entnommen ist auch das
Gewandstück und die polsterartige Rückenlehne.
Jeder Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung Michaelis' er-
scheint ausgeschlossen. Gäbe es aber einen solchen, so würde er
definitiv durch den von mir aufgefundenen ersten Entwurf zum Ge-
mälde im Louvre Nr. I beseitigt. Denn hier tritt die Beziehung zu
der Antike in dem vorderen Arm der Leda und in der Hals-
bewegung des Schwanes noch deutlicher hervor.
Wenn Michaelis weitergeht und die Ähnlichkeit der „Nacht"
und der „Leda" daraus erklärt, dass auch für die „Nacht" Michel-
angelo schon das Ledarelief vorgeschwebt hat, so wird dagegen
kaum Ernstliches einzuwenden sein.
4. Zusammenfassendes.
Aus dem Karton und dem Gemälde in London, sowie aus dem
Stiche Enea Vicos zog Michaelis den Schluss, auf dem Gemälde
sei die Geburt der Dioskuren nicht dargestellt gewesen. Condivis
und Vasaris Aussagen seien auf das Missverständniss eines Beiden
zu Ohren gekommenen Berichtes zurückzuführen. Die dem Künstler
von ihnen zugemuthete Prolepsis sei eine Geschmacklosigkeit. Dieser
Meinung widersprach Woermann, indem er auf den Stich des C. Bos
und die beiden Kopien hinwies, welche das Ei und die Dioskuren
zeigen, Enea Vicos Komposition als unabhängig von Michelangelo
hinstellte und eine Verkürzung des Londoner Bildes als möglich
annahm. Unsere weitergehende Untersuchung bestätigt Woermanns
Urtheil. Die Rosini'sche Abbildung des Kartons Nr. IV zeigt, dass
auch auf ihm die Kinder dargestellt waren; Vicos Stich erwies sich
als die Kopie eines Entwurfes zu dem Gemälde; die Glaubwürdig-
keit Vasaris wurde durch die Thatsache, dass er selbst den Karton
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