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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Contr.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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Mythol. und allegor. Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe

vermummt zu haben: er trägt auf dem Kopfe die hohe Mütze eines
Alten und hat einen Mantel mit herabhängender Kapuze umgehängt.
Der Zweck aber ist verfehlt: offenbar erkennt der Gespiele den Freund
ganz wohl in der Larve.
Hat diese Darstellung eine allegorische Bedeutung oder ist sie
nur ein Seitenspross der Beschäftigung mit den Familiengruppen
der Lünetten? Traditionell wird die Frau als „Klugheit" — im Hin-
blick auf das übliche, dieser Tugend verliehene Motiv des Spiegels —
oder als „Wahrheit" bezeichnet. Für beide Deutungen liessen sich
Gründe geltend machen. Wäre die Prudentia gemeint, dann dürfte
man in dem Kinderspiel eine Veranschaulichung ihres Gegentheiles:
der Thorheit oder Narrheit finden. Bedeutete sie die Wahrheit,
die sich rein ohne Trübung spiegelt, könnte man in dem Sich-
maskiren des einen, wie in dem Sichverstecken des anderen Knaben
die Unwahrheit, die sich versteckt oder verhehlt, repräsentirt sehen,
und in diesem Falle erschiene der an die Frau gelehnte Knabe als
deren kleiner Gehülfe, der dem Trug ein Ende macht. Gegen eine
solche Deutung, namentlich die zweite, würde sich wohl nichts Ernst-
liches einwenden lassen, bliebe es auch seltsam, dass kindlichem
Spiele ein „so ernster Sinn" zugemuthet würde.
Sich mit der einfachen Erklärung, es sei, wie in den Lunetten,
nur eine Genreszene gegeben, zu begnügen, wird, angesichts der
feierlichen Erscheinung der Frau, keinem Betrachter leicht fallen.
Vielleicht aber bildete für den Künstler den Ausgangspunkt doch
eine schlichte Familiendarstellung, in welcher er das schon bei seiner
Dionysosrestauration verwerthete, ihm zusagende antike Motiv des
mit einer Maske spielenden Knaben anbrachte. Hierfür könnte
Eines sprechen: neben dem Spiegel sehen wir einen Gegenstand in
Strichen angegeben, der offenbar ursprünglich an Stelle des Spiegels
von der Hand der Frau gehalten und dann durch die Schattirung
des Hintergrundes undeutlich gemacht wurde, und dieser Gegen-
stand dürfte, wie mir scheint, wohl nur als Spinnrocken zu
deuten sein.
Nur die Frau befindet sich auf der Vorderseite einer Zeich-
nung in Chantilly (Phot. Br. Exp. Ec. d. b. a. 65), die auch auf der
Rückseite die Komposition wiederholt zeigt. Berenson (Nr. 1624)
schreibt auch diese Federstudie dem Battista Franco zu; sie ist
aber sicher von anderer Hand als das Blatt in den Uffizien. Sie
könnte von Michelangelo sein (vgl. unten den Exkurs über die
Grablegung Christi in London). Es ist wohl die einst im Besitze
Mariettes befindliche, der in ihr eine Studie für eine der Figuren
auf der Plattform des Juliusdenkmales zu erkennen glaubte.
Eine andere Kopie wird in der Ambrosiana zu Mailand auf-
bewahrt (Phot. Br. 260).
 
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