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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Mitarb.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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Die Grablegung Christi, Gemälde in der National Gallery zu London 487

Wäre es das andere? Vasaris Angaben und das angeführte Urtheil
Michelangelos, der doch sein geistiges Eigenthum wiedererkannt
haben müsste, schliessen diesen Gedanken aus. Aber es ist doch
sehr auffallend, dass hier ein Engel, der die Dornenkrone und die
Nägel hält, genannt wird — also das Motiv in der Pariser Zeich-
nung, die nach einer von uns für den Augenblick beliebten Ver-
muthung von Bandinelli herrührt. Sollte Bandinelli schon in jenem
früheren Bilde die Dornenkrone und Nägel haltende Gestalt, und
zwar nicht als Engel, sondern als eine der Marien dargestellt
haben? Und könnte das Londoner Bild nicht doch die Tafel von
Cestello sein?
Auch jetzt bleibt diese Annahme ganz willkürlich. Es ist wohl
nur Zweierlei anzunehmen möglich. Entweder hat der Maler des
Londoner Bildes eine Zeichnung Bandinellis verwerthet, oder Ban-
dinelli hat, wie jener Maler, für die Figur sich an ein Michel-
angelo'sches Vorbild gehalten, das schon vor 1525 entstanden wäre.
Das erstere ist nicht denkbar, weil das Bild früher entstanden sein
muss. Wäre das letztere aber der Fall, dann tauchte die Ver-
muthung auf, dass doch Michelangelo die Grablegung, und zwar in
früher Zeit, gemalt.
Wir kommen also zu dem gleichen Schluss, wie wenn wir die
Louvrezeichnung als Michelangelos eigene Arbeit bezeichnen. Ich
schliesse die Parenthese: das Londoner Bild ist nicht von Bandinelli.
Fast alle Forscher nun haben dasselbe früh, nämlich etwa in die
Zeit der hl. Familie Doni, angesetzt. (Bode dachte freilich sogar an
das Ende der neunziger Jahre des XV. Jahrhunderts.) Beweisend
für eine so frühe Datirung erschien vor Allem der Kopf des Joseph
von Arimathia, der in der That dem Joseph in dem Donibilde sehr
ähnlich ist, und das Landschaftliche.
Nun lassen sich aber auch die anderen Gestalten ihrem Stile
nach in die Werke aus dem Anfänge des XVI. Jahrhunderts ein-
reihen. Analogieen zu den Figuren der Sixtinischen Decke sind
zu finden: in dem Johannes zu den Ignudi (man vgl. im Besonderen
den Kopf des Jünglings links über Ezechiel), in der Frau rechts,
welche den Leichnam trägt, zu einer Pariser Zeichnung für eine
Lünette (Nr. 113, s. oben I, S. 271, Nr. CXLV. Kopf und Kopf-
putz auffallend ähnlich). Und endlich zeigt die Pariser Studie den
Stil jener Zeit. Die Grablegung muss also etwa zwischen 1505
und 1510 entstanden sein, notabene die Zeichnung und Untermalung.
Die malerische Ausführung und die Landschaft ist nicht von Michel-
angelos Hand. Er hat vielleicht — Übermalungen machen die Ent-
scheidung schwer — den Karton oder das untermalte Bild einem
Anderen überlassen, der es aber auch nicht vollendete. An dieses
Bild aber dürfte Bandinelli in seinen Gemälden angeknüpft und ihm
 
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