Der antike Mythus und der plastische Stil.
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ward. Die Maske des athenischen Schauspielers hob mit der indi-
viduellen Erscheinung auch die physiognomische Gebärde auf, es
blieb nur diejenige des ganzen Leibes. Was die epischen Dichter
der Phantasie vorführen, ist Gestalt und Aktion.
Wird die Beschränkung im di ff e r e n zi r e n d e n Aus-
druck des Geistigen durch das mythologische Erfassen
des Allgemeinmenschlichen bedingt, so wird sie zu-
gleich durch die spezifische Kunst der Plastik ge-
fordert. Auch hierin erweist es sich, wie durchaus ihrem Ver-
mögen nach diese dem Mythus entspricht. Ihre Ausdrucks-
möglichkeiten sind beschränkt: die feinsten Bestimmungen .des
Denkens und Fühlens, die sich im Auge offenbaren, wieder-
zugeben, muß sie der Malerei überlassen, aber nicht allein diese,
sondern auch viele Erscheinungen des Mienenspieles, die nur in
einer bestimmten Beleuchtung hervortreten, denn sie ist dem Wechsel
des wirklichen Lichtes unterworfen und je nach dessen Einfall ge-
winnt die Erscheinung eine verschiedene Bedeutsamkeit.
Beschränkt ist der Bildhauer auch dann, wenn er, von seiner
eigentlichen Aufgabe, der Einzelfigur, absehend, im Relief sich der
Malerei nähert; nie gewinnt er, mag er auch in figurenreichen Dar-
stellungen psychische Vorgänge in freierer Weise, weil in reicherem
Zusammenhänge, verdeutlichen, die Möglichkeit, sie zu vollständigem,
überzeugendem Eindruck zu bringen, wie es dem Maler dank der
perspektivischen Darstellung, den Farbenerscheinungen und Licht-
wirkungen vergönnt ist. In Verdeutlichung inneren Erlebens kann
der Materie gestaltende und durch sie gefesselte Bildner mit dem
Maler, der bloß den Schein der Wirklichkeit hervorzaubert, nicht
wetteifern. Will er dies gleichwohl, so rächt sich das willkürliche
Überschreiten der Grenzen: er geht der Vorzüge seiner Kunst
verloren, ohne daß er die der anderen gewänne. In seinen Schranken
geblieben zu sein, selbst in den späteren Zeiten seiner Kultur, da
auch für ihn bis zum Pathetischen sich steigernder Ausdruck von
Stimmungen und Affekten Bedürfniss ward, ist der ewige Ruhm des
Griechen. Er konnte es, weil er, der geborene Plastiker und ein
Gestalter des Mythus, durch strenge Übung und in unmittelbarem
Zusammenhang mit einem in jedem Sinne ihn fördernden Leben,
wie auch durch innige Verbindung mit dem raumbildenden Archi-
tekten in den Vollbesitz des Wissens von der Gesetzmäßig-
keit plastischen Stiles gelangte.
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ward. Die Maske des athenischen Schauspielers hob mit der indi-
viduellen Erscheinung auch die physiognomische Gebärde auf, es
blieb nur diejenige des ganzen Leibes. Was die epischen Dichter
der Phantasie vorführen, ist Gestalt und Aktion.
Wird die Beschränkung im di ff e r e n zi r e n d e n Aus-
druck des Geistigen durch das mythologische Erfassen
des Allgemeinmenschlichen bedingt, so wird sie zu-
gleich durch die spezifische Kunst der Plastik ge-
fordert. Auch hierin erweist es sich, wie durchaus ihrem Ver-
mögen nach diese dem Mythus entspricht. Ihre Ausdrucks-
möglichkeiten sind beschränkt: die feinsten Bestimmungen .des
Denkens und Fühlens, die sich im Auge offenbaren, wieder-
zugeben, muß sie der Malerei überlassen, aber nicht allein diese,
sondern auch viele Erscheinungen des Mienenspieles, die nur in
einer bestimmten Beleuchtung hervortreten, denn sie ist dem Wechsel
des wirklichen Lichtes unterworfen und je nach dessen Einfall ge-
winnt die Erscheinung eine verschiedene Bedeutsamkeit.
Beschränkt ist der Bildhauer auch dann, wenn er, von seiner
eigentlichen Aufgabe, der Einzelfigur, absehend, im Relief sich der
Malerei nähert; nie gewinnt er, mag er auch in figurenreichen Dar-
stellungen psychische Vorgänge in freierer Weise, weil in reicherem
Zusammenhänge, verdeutlichen, die Möglichkeit, sie zu vollständigem,
überzeugendem Eindruck zu bringen, wie es dem Maler dank der
perspektivischen Darstellung, den Farbenerscheinungen und Licht-
wirkungen vergönnt ist. In Verdeutlichung inneren Erlebens kann
der Materie gestaltende und durch sie gefesselte Bildner mit dem
Maler, der bloß den Schein der Wirklichkeit hervorzaubert, nicht
wetteifern. Will er dies gleichwohl, so rächt sich das willkürliche
Überschreiten der Grenzen: er geht der Vorzüge seiner Kunst
verloren, ohne daß er die der anderen gewänne. In seinen Schranken
geblieben zu sein, selbst in den späteren Zeiten seiner Kultur, da
auch für ihn bis zum Pathetischen sich steigernder Ausdruck von
Stimmungen und Affekten Bedürfniss ward, ist der ewige Ruhm des
Griechen. Er konnte es, weil er, der geborene Plastiker und ein
Gestalter des Mythus, durch strenge Übung und in unmittelbarem
Zusammenhang mit einem in jedem Sinne ihn fördernden Leben,
wie auch durch innige Verbindung mit dem raumbildenden Archi-
tekten in den Vollbesitz des Wissens von der Gesetzmäßig-
keit plastischen Stiles gelangte.