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Im Hause des Lorenzo Medici.

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der Wurzel herausgezogen, und erwartete am anderen Tage den
Magnifico mit großer Sehnsucht. Als Der die Gutartigkeit und
Einfalt des Knaben gewahrte, lachte er sehr darüber; dann aber,
bei sich die Vollkommenheit der Arbeit und sein Alter erwägend,
beschloß er, ein Vater aller Begabungen, der er war, ein so großes
Talent zu unterstützen und zu begünstigen und ihn zu sich in sein
Haus zu nehmen; und nachdem er vernommen, wessen Sohn Jener
sei, sagte er zu ihm: ,Geh und sag deinem Vater, es wäre mir lieb,
mit ihm zu sprechen.1“
Dies Gespräch führte zu erwünschtem Ziele.
„Und nachdem er den Alten verabschiedet, hieß er Michel-
angelo ein gutes Zimmer in seinem Hause geben, verschaffte ihm
alle Bewegungsfreiheit, die er wünschte, und behandelte ihn wie alle
Anderen, wie auch an seiner Tafel, an welcher täglich sehr vor-
nehme und einflußreiche Personen saßen. Und da es Sitte war,
daß Die, welche sich gleich von Anfang an dort befanden, in der
Nähe des Magnifico, Jeder nach seinem Rang, saßen, kam es oft
vor, daß Michelangelo über den Söhnen Lorenzos und anderen
Ehrengästen, an denen jenes Haus beständig die Fülle hatte, zu
sitzen kam. Und von ihnen Allen wurde er liebreich behandelt und
zu seinem ehrenvollen Berufe angefeuert, vor Allem aber vom Magni-
fico, der ihn häufig am Tage rufen ließ und ihm seine Kleinodien,
Karneole, Medaillen und ähnliche kostbare Dinge zeigte, da er seinen
Geist und sein Urtheil kannte.“
„In demselben Hause lebte der Poliziano, ein sehr gelehrter
und scharfsinniger Mann, wie Jedermann weiß und seine Schriften
es voll bezeugen. Dieser, Michelangelos hochstrebenden Geist er-
kennend, liebte ihn sehr und stachelte ihn, obgleich er dessen nicht
bedurfte, beständig zum Studium an, indem er ihm immer Allerlei
erklärte und zu thun gab. Unter Anderem schlug er ihm eines
Tages den Raub der Dejanira und den Kampf der Kentauren vor,
die ganze Fabel, eines nach dem anderen, ihm erklärend. Michel-
angelo machte sich daran, sie in Marmor in halbem Relief darzu-
stellen, und das Unternehmen glückte ihm so, daß ich mich erinnere
ihn haben sagen zu hören, er erkenne, wenn er die Arbeit wieder-
sehe, welches Unrecht er der Natur angethan, nicht eifrig die Bild-
hauerkunst zu betreiben, denn jenes Werk belehre ihn darüber, zu
was er es darin habe bringen können. Und das sagt er, der be-
scheidenste Mann, nicht, um sich zu rühmen, sondern nur weil er
 
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