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Die Vollkommenheit.
wie Der, welcher langsam arbeitet, so verdient er weit höheres Lob.
Wenn er hingegen, infolge der Gewandtheit seiner
Hände, gewisse Grenzen überschreitet, die in der
Kunst innegehalten werden müssen, so sollte er lieber
langsamer und sorgsamer bei der Sache sein; denn selbst
der hochbegabte, hervorragende Künstler darf sich nicht von seiner
Vorliebe für die Schnelligkeit dazu hinreißen lassen, in irgend Etwas
das Endziel, das er stets suchen soll, die Vollkommenheit,
zu vergessen oder zu vernachlässigen. Es ergiebt sich also, daß es
kein Laster ist, ein wenig langsam oder, wo es nöthig ist, sogar
sehr langsam zu sein und viele Zeit und Mühe auf ein Werk zu
verwenden, wenn es dadurch vollkommener wird. — Tadelnswerth
allein, ist die schlechte Leistung —- das Nichtkönnen.“
„Noch Etwas will ich Euch, Messer Francisco de Hollanda,
sagen — und damit vielleicht das Wesentlichste und den Kern-
punkt unserer Wissenschaft, wenngleich Ihr bereits darum wißt und
es ebenfalls für das Wichtigste haltet — folgendes nämlich:
„Was man mit größtem Eifer erstreben und mit
dem größten Aufwand von Arbeit und Studium im
Schweiße seines Angesichts zu erreichen suchen
soll, ist dies, daß, was man mit allergrößter Mühe
schafft, so aussehe, als wäre es schnell, fast ohne An-
„Das ist eine ausgezeichnete Richtschnur und eine wesentliche
Eigenschaft. Wohl kommt es bisweilen vor, daß ein Werk, auf
das wir nicht allzuviel Arbeit verwandt haben, derart ausfällt,
wie ich angab, doch ist es äußerst selten, und die wahre Regel
bleibt es: viel Mühe zu verwenden und dennoch
mühelos Aussehendes zu schaffen.“ (Übers. Vasconcellos
S. 117 ff.)
In solcher Lehre faßte Michelangelo den Begriff der Meister-
schaft und zugleich sein eigenes technisches Bemühen zusammen.
Sie wird uns auch durch einen Ausspruch bekannt, den Giovanni
Battista Gelli in seinem „Dialogo sopra la difficoltä del mettere in
regola la lingua ehe si parla in Firenze“ (Florenz 1551) überliefert:
„Die Werke sind die guten, denen man die Mühe nicht ansieht,
das heißt, die mit so großer Kunst ausgeführt sind, daß sie wie
Werke der Natur und nicht der Kunst erscheinen.“
Die Vollkommenheit.
wie Der, welcher langsam arbeitet, so verdient er weit höheres Lob.
Wenn er hingegen, infolge der Gewandtheit seiner
Hände, gewisse Grenzen überschreitet, die in der
Kunst innegehalten werden müssen, so sollte er lieber
langsamer und sorgsamer bei der Sache sein; denn selbst
der hochbegabte, hervorragende Künstler darf sich nicht von seiner
Vorliebe für die Schnelligkeit dazu hinreißen lassen, in irgend Etwas
das Endziel, das er stets suchen soll, die Vollkommenheit,
zu vergessen oder zu vernachlässigen. Es ergiebt sich also, daß es
kein Laster ist, ein wenig langsam oder, wo es nöthig ist, sogar
sehr langsam zu sein und viele Zeit und Mühe auf ein Werk zu
verwenden, wenn es dadurch vollkommener wird. — Tadelnswerth
allein, ist die schlechte Leistung —- das Nichtkönnen.“
„Noch Etwas will ich Euch, Messer Francisco de Hollanda,
sagen — und damit vielleicht das Wesentlichste und den Kern-
punkt unserer Wissenschaft, wenngleich Ihr bereits darum wißt und
es ebenfalls für das Wichtigste haltet — folgendes nämlich:
„Was man mit größtem Eifer erstreben und mit
dem größten Aufwand von Arbeit und Studium im
Schweiße seines Angesichts zu erreichen suchen
soll, ist dies, daß, was man mit allergrößter Mühe
schafft, so aussehe, als wäre es schnell, fast ohne An-
„Das ist eine ausgezeichnete Richtschnur und eine wesentliche
Eigenschaft. Wohl kommt es bisweilen vor, daß ein Werk, auf
das wir nicht allzuviel Arbeit verwandt haben, derart ausfällt,
wie ich angab, doch ist es äußerst selten, und die wahre Regel
bleibt es: viel Mühe zu verwenden und dennoch
mühelos Aussehendes zu schaffen.“ (Übers. Vasconcellos
S. 117 ff.)
In solcher Lehre faßte Michelangelo den Begriff der Meister-
schaft und zugleich sein eigenes technisches Bemühen zusammen.
Sie wird uns auch durch einen Ausspruch bekannt, den Giovanni
Battista Gelli in seinem „Dialogo sopra la difficoltä del mettere in
regola la lingua ehe si parla in Firenze“ (Florenz 1551) überliefert:
„Die Werke sind die guten, denen man die Mühe nicht ansieht,
das heißt, die mit so großer Kunst ausgeführt sind, daß sie wie
Werke der Natur und nicht der Kunst erscheinen.“