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Der Brief an Varchi.

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Briefe 1549 in seinen „Due lezioni“ publizirt hat, wohl oder übel
zu einem kurzen Schreiben entschlossen. (Lett. S. 522.)
Es lautet:
„Messer Benedetto.
Damit kein Zweifel daran sei, daß ich, wie es der Fall, Euer
Büchlein empfangen habe, werde ich Euch, obgleich als ein Igno-
rant, Etwas auf Euere Frage antworten. Ich sage: mir' scheint,
man hält die Malerei für um so besser, je mehr sie dem Relief
nahe kommt, und das Relief für um so schlechter, je näher es der
Malerei kommt. Und so pflegte es mich zu dünken, daß die
Skulptur die Leuchte der Malerei sei und der Unterschied beider
der der Sonne von dem Monde sei. Nun aber, nachdem ich in
Eurem Büchlein den Passus gelesen habe, daß die Dinge, welche
eines und dasselbe Ziel haben, selbst auch Eines und Dasselbe sind,
habe ich meine Meinung geändert. Und ich behaupte: verleihen
größere Ansprüche an die Urtheilskraft, größere Schwierigkeiten,
Hinderungen und Mühen nicht höheren Adel, so sind Malerei und
Skulptur Eines und Dasselbe; und damit man sie dafür halte, sollte
jeder Maler ebensoviel die Skulptur als die Malerei betreiben, und
ebenso der Bildhauer sich nicht allein mit der Skulptur, sondern
auch mit der Malerei beschäftigen. Unter Skulptur verstehe ich
jene Art zu bilden, welche durch Wegnehmen (der Materie) ge-
staltet; die andere, welche gestaltet, indem sie aufträgt, ist der
Malerei verwandt. Es genügt, daß man zwischen Malerei und
Skulptur, da sie beide aus einer gleichen Intelligenz stammen, einen
guten Frieden schließe und die vielen Dispute auf sich beruhen
lasse; denn die nehmen mehr Zeit in Anspruch, als es gebraucht,
Kunstwerke selbst zu schaffen. Wenn aber Der, welcher schreibt:
die Malerei sei edler als die Skulptur, sich ebensogut auch auf
die anderen Dinge versteht, über die er geschrieben hat, so würde
meine Magd besser über sie geschrieben haben. Unendlich viel,
und zwar noch nicht Gesagtes, wäre über dergleichen Fragen zu
sagen: aber das gebrauchte, wie gesagt, zu viel Zeit, und ich habe
deren wenig, denn ich bin nicht nur alt, sondern zähle gleichsam
schon zu den Todten; darum bitte ich Euch, mich zu entschuldigen.
Und ich empfehle mich Euch, so gut ich nur kann und weiß, für
die allzu große und mir nicht gebührende Ehre, die Ihr mir erweist.
Euer Michelagniolo Buonarroti in Rom.“
 
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