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In der Plastik die Urgesetzmässigkeit.

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Es ist nicht schwer, Ironie und Ernst in diesem Briefe zu
unterscheiden. Sein Aufbegehren über die Behauptung eines
höheren Ranges der Malerei ist charakteristisch. Den Rangunter-
schied der Künste beiseite gelassen, leuchtet die wahre Meinung
hervor, daß die grundlegende Kunst, welche er in einem Sonett
als „die erste“, nämlich als die Kunst des Schöpfers selbst, bezeichnet,
die Plastik sei. Als die Idauptaufgabe auch der Malerei erscheint
ihm, worauf ähnlich Molza in einem Sonette (II, CXXVII) hinweist,
das Piervorbringen räumlicher Wirkung: je mehr sie diese erreiche,
desto besser sei sie. Daher er den Venezianern Mangel an Zeichnung
vorwarf: „hätten sie diese“, so soll er nach Bernini, beim Anblick
einer Venus des von ihm hochgeschätzten Tizian zu Paul III. ge-
sagt haben, „so wären sie nicht mehr Menschen, sondern Engel.“
Er findet in der Plastik die Ur g e s e t z m äß i gk e i t, der
auch die Malerei sich zu fügen hat, indessen eine Herr-
schaft der Malerei der Plastik zum Schaden gereiche, welch letzteres
nur in dem Sinne zu fassen ist, daß er, der vom Standpunkte der
großen antiken Kunst aus offenbar vornehmlich an die perspekti-
vischen Darstellungen des florentinischen Quattrocentoreliefs denkt,
alles spezifisch Malerische von der Skulptur ausgeschlossen sehen
will. Die Plastik begreift also die Malerei gleichsam in sich, und
zwar jene, die für ihn, wiederum im Geiste der Antike, die einzig
wahre ist: die Gestaltung der menschlichen Figur, wie sie nicht
aus freiem Belieben •— denn so dürfte die spätere Stelle in dem
Briefe zu deuten sein —, sondern aus den Gesetz und Stil schaffen-
den Bedingungen des Steinblockes hervorgeht.
Erscheinungen eines Gesetzes, auch als solche vergleichen sich
die echten Kunstwerke den Werken der Natur, vor denen sie
aber ein Höheres voraushaben: denn sie verdeutlichen in der Natur
die Ideen, zu deren Anschauung zu führen die Aufgabe aller hohen
Kunst ihm dünkte. Und auch in einem Anderen überbieten sie die
Natur: darin nämlich, daß inmitten des Wandels und Vergehens der
natürlichen Erscheinungen der künstlerischen Schöpfung Dauer ver-
gönnt ist! In einem seiner schönsten Sonette giebt dieser Sieg
der Kunst dem Liebenden die tröstliche Gewißheit, seine Liebe
verewigen zu können.

Wie ist’s doch möglich, Herrin, was Erfahrung
Uns Allen lehrt: daß ein lebendig Bild,
 
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