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Die Sklaven: Künste und Wissenschaften..
kriegerische und siegreiche Stellvertreter Christi, doch schwerlich
zugegeben, dass er an heiligster Stätte des Friedens als weltlicher
Heerführer und Unterjocher gepriesen werde. So seltsam es auch
dünken mag: Condivi war offenbar durch Michelangelo selbst unter-
richtet, wenn er Vasaris in der ersten Auflage gegebene Meinung:
die Sklaven stellten Provinzen dar, korrigirend sagt: „diese stellten
die freien Künste vor, und auch die Malerei,“~die Skulptur und die
Architektur, jede mit ihrem Abzeichen, damit man sie leicht er-
kenne. Mit ihnen wollte er andeuten, dass mit dem Papste Julius
auch alle jene Talente Gefangene des Todes geworden seien, da
sie niemals wieder Einen finden würden, von dem sie so begünstigt
und genährt wurden, wie von ihm.“
Die Künste und Wissenschaften! Dann hätten wir hier, wenn
auch in merkwürdiger Fassung, ja nichts Anderes vor Augen, als
was uns in den weiblichen Allegorieen am Grabmal des Papstes
Sixtus’ IV., des Onkels des Julius, gezeigt wird! Wir dürfen daran
nicht zweifeln, wie auch Vasari sich bequemen musste, in seiner
zweiten Auflage der Vite, Condivis Aussage, freilich indem er doch
noch an seiner eigenen früheren festhielt und nun sehr thöricht die
Sklaven theils als Provinzen, theils als Künste bezeichnete, über-
nahm. Wir müssen Condivi Recht geben, denn er bringt die
spezielle, nicht zu erfindende Angabe: jede Figur sei durch ihre
„nota“, d. h. ein Attribut, charakterisirt worden, und die eine er-
haltene Sklavenfigur im Louvre, der sogenannte „sterbende“, hat,
was bis jetzt nicht beachtet ward, ein solches: die ihr beigegebene
Stütze war in Form eines Affen gedacht, dessen nur abozzirte Ge-
stalt doch deutlich zu erkennen ist. Künstlerische Rücksichten sind
es gewesen, die den Meister veranlassten, kühn mit der Tradition
zu brechen und die weiblichen Wissenschaften in männliche Genien
zu verwandeln : das Verlangen, nackte Gestalten zu geben, und zu-
gleich der Wunsch nach Abwechslung, da in den Nischen Frauen-
figuren ihren Platz fanden.
Wird aber nicht in den auffälliger Weise weiblichen Hermen-
köpfen über den Köpfen der Sklaven eine Andeutung der Wissen-
schaften als Frauen gewahrt, und hat Michelangelo nicht auf diese
Weise die Schwierigkeit gelöst, indem er in den Sklaven in
mittelalterlichem Sinne gleichsam Repräsentanten der Künste gab?
Ja hat ihn nicht überhaupt dieser Gedanke auf die Hermen ge-
bracht ?
Die Sklaven: Künste und Wissenschaften..
kriegerische und siegreiche Stellvertreter Christi, doch schwerlich
zugegeben, dass er an heiligster Stätte des Friedens als weltlicher
Heerführer und Unterjocher gepriesen werde. So seltsam es auch
dünken mag: Condivi war offenbar durch Michelangelo selbst unter-
richtet, wenn er Vasaris in der ersten Auflage gegebene Meinung:
die Sklaven stellten Provinzen dar, korrigirend sagt: „diese stellten
die freien Künste vor, und auch die Malerei,“~die Skulptur und die
Architektur, jede mit ihrem Abzeichen, damit man sie leicht er-
kenne. Mit ihnen wollte er andeuten, dass mit dem Papste Julius
auch alle jene Talente Gefangene des Todes geworden seien, da
sie niemals wieder Einen finden würden, von dem sie so begünstigt
und genährt wurden, wie von ihm.“
Die Künste und Wissenschaften! Dann hätten wir hier, wenn
auch in merkwürdiger Fassung, ja nichts Anderes vor Augen, als
was uns in den weiblichen Allegorieen am Grabmal des Papstes
Sixtus’ IV., des Onkels des Julius, gezeigt wird! Wir dürfen daran
nicht zweifeln, wie auch Vasari sich bequemen musste, in seiner
zweiten Auflage der Vite, Condivis Aussage, freilich indem er doch
noch an seiner eigenen früheren festhielt und nun sehr thöricht die
Sklaven theils als Provinzen, theils als Künste bezeichnete, über-
nahm. Wir müssen Condivi Recht geben, denn er bringt die
spezielle, nicht zu erfindende Angabe: jede Figur sei durch ihre
„nota“, d. h. ein Attribut, charakterisirt worden, und die eine er-
haltene Sklavenfigur im Louvre, der sogenannte „sterbende“, hat,
was bis jetzt nicht beachtet ward, ein solches: die ihr beigegebene
Stütze war in Form eines Affen gedacht, dessen nur abozzirte Ge-
stalt doch deutlich zu erkennen ist. Künstlerische Rücksichten sind
es gewesen, die den Meister veranlassten, kühn mit der Tradition
zu brechen und die weiblichen Wissenschaften in männliche Genien
zu verwandeln : das Verlangen, nackte Gestalten zu geben, und zu-
gleich der Wunsch nach Abwechslung, da in den Nischen Frauen-
figuren ihren Platz fanden.
Wird aber nicht in den auffälliger Weise weiblichen Hermen-
köpfen über den Köpfen der Sklaven eine Andeutung der Wissen-
schaften als Frauen gewahrt, und hat Michelangelo nicht auf diese
Weise die Schwierigkeit gelöst, indem er in den Sklaven in
mittelalterlichem Sinne gleichsam Repräsentanten der Künste gab?
Ja hat ihn nicht überhaupt dieser Gedanke auf die Hermen ge-
bracht ?