Künste und Wissenschaften.
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Welche geistige Thätigkeiten er gewählt, ist nicht mehr be-
stimmt zu sagen: waren es die zehn, die das Denkmal Sixtus’ IV.
zeigt: Theologie, Philosophie, Arithmetik, Astrologie, Dialektik,
Rhetorik, Grammatik, Perspektive, Musik und Geometrie ? Dies darf
man gerne annehmen. Dazu wären dann also nach Condivi die
Architektur, die Plastik-und die Malerei gekommen, und im ersten
Plan, der sechzehn Sklaven brachte, noch drei andere, über welche
Vermuthungen zu äussern unangebracht erscheint, will man nicht
auf Grund einer Skizze in Oxford, die Panzer und Helm zu Füssen
eines Sklaven zeigt, eine von ihnen als Kriegskunst sich denken.
Auch über den sterbenden Sklaven eine solche Vermuthung auf-
zustellen, ist gewagt, da wir aus älteren Monumenten keinen Auf-
schluss über die Bedeutung des Affen erhalten, doch darf als zu-
lässig der Hinweis darauf gebracht werden, dass in Michelangelos
Zeiten der Ausdruck: „scimia della natura“, Affe der Natur, für den
Maler oder die Malerei geläufig war. Vielleicht also bedeutete jene
Statue die Malerei, was dann zu der weiteren, Geist und Gefühl
sehr ansprechenden Hypothese führen könnte: mit der anderen Statue
des sich abringenden Sklaven in Paris sei die eigentliche Kunst
des Meisters, die Skulptur, gemeint. Als erste Figuren: die beiden
Künste in Angriff genommen zu haben, entsprach, so meine ich,
dem Geiste des Künstlers sehr wohl.
Eine mittelalterliche, von der Renaissance gepflegte Vorstellung
also ist es, die in den Gefangenen neuen, überraschenden Ausdruck
gewinnt: die ruhig und heiter thronenden Freundinnen und Schütze-
rinnen des Geistes sind zu leidenvoll in Fesseln sich abringenden
Genien des Menschengeschlechtes geworden. Wie aber wäre es
dann anders denkbar, als dass auch die in antiker Viktoriengestalt
erscheinenden Kämpferinnen der Nischen christlich - mittelalterliche
Ideen repräsentiren! An dem Grabmal Sixtus’ IV. sind neben den
Wissenschaften, unmittelbar den Papst umgebend, die sieben
Tugenden: Justitia, Temperantia, Spes, Caritas, Fides, Prudentia
und Fortitudo angebracht, wie an so vielen anderen Grabmälern,
deren besonderen Schmuck diese Allegorieen bildeten. Aber frei-
lich auch, wie die Wissenschaften, als ruhig thronende Gestalten,
die dem Friedensreich der Ideen angehören. Hier aber erscheinen
sie, durch eine achte vermehrt, als Siegerinnen über zu Boden ge-
stürzten Feinden, — den Lastern, so wie wir sie, gleichfalls als
Statuen, am linken Seitenportal der Fassade des Strassburger
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Welche geistige Thätigkeiten er gewählt, ist nicht mehr be-
stimmt zu sagen: waren es die zehn, die das Denkmal Sixtus’ IV.
zeigt: Theologie, Philosophie, Arithmetik, Astrologie, Dialektik,
Rhetorik, Grammatik, Perspektive, Musik und Geometrie ? Dies darf
man gerne annehmen. Dazu wären dann also nach Condivi die
Architektur, die Plastik-und die Malerei gekommen, und im ersten
Plan, der sechzehn Sklaven brachte, noch drei andere, über welche
Vermuthungen zu äussern unangebracht erscheint, will man nicht
auf Grund einer Skizze in Oxford, die Panzer und Helm zu Füssen
eines Sklaven zeigt, eine von ihnen als Kriegskunst sich denken.
Auch über den sterbenden Sklaven eine solche Vermuthung auf-
zustellen, ist gewagt, da wir aus älteren Monumenten keinen Auf-
schluss über die Bedeutung des Affen erhalten, doch darf als zu-
lässig der Hinweis darauf gebracht werden, dass in Michelangelos
Zeiten der Ausdruck: „scimia della natura“, Affe der Natur, für den
Maler oder die Malerei geläufig war. Vielleicht also bedeutete jene
Statue die Malerei, was dann zu der weiteren, Geist und Gefühl
sehr ansprechenden Hypothese führen könnte: mit der anderen Statue
des sich abringenden Sklaven in Paris sei die eigentliche Kunst
des Meisters, die Skulptur, gemeint. Als erste Figuren: die beiden
Künste in Angriff genommen zu haben, entsprach, so meine ich,
dem Geiste des Künstlers sehr wohl.
Eine mittelalterliche, von der Renaissance gepflegte Vorstellung
also ist es, die in den Gefangenen neuen, überraschenden Ausdruck
gewinnt: die ruhig und heiter thronenden Freundinnen und Schütze-
rinnen des Geistes sind zu leidenvoll in Fesseln sich abringenden
Genien des Menschengeschlechtes geworden. Wie aber wäre es
dann anders denkbar, als dass auch die in antiker Viktoriengestalt
erscheinenden Kämpferinnen der Nischen christlich - mittelalterliche
Ideen repräsentiren! An dem Grabmal Sixtus’ IV. sind neben den
Wissenschaften, unmittelbar den Papst umgebend, die sieben
Tugenden: Justitia, Temperantia, Spes, Caritas, Fides, Prudentia
und Fortitudo angebracht, wie an so vielen anderen Grabmälern,
deren besonderen Schmuck diese Allegorieen bildeten. Aber frei-
lich auch, wie die Wissenschaften, als ruhig thronende Gestalten,
die dem Friedensreich der Ideen angehören. Hier aber erscheinen
sie, durch eine achte vermehrt, als Siegerinnen über zu Boden ge-
stürzten Feinden, — den Lastern, so wie wir sie, gleichfalls als
Statuen, am linken Seitenportal der Fassade des Strassburger