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Die Vertreibung aus dem Paradiese.

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Das unmittelbare Eintreten dieses Fluches wird von dem
Künstler in der Vertreibung aus dem Paradiese durch den
Engel verdeutlicht, der, dicht neben der Schlange angebracht, aus
der Tiefe hervorfliegt und mit dem Schwert in dem ausgestreckten
Arm, welcher dem die Frucht reichenden Arm des Dämons ent-
spricht, die Schuldigen vor sich hertreibt. Für die Gestaltung der
letzteren ward Masaccios grosses Vorbild in der Brancaccikapelle
bestimmend, doch kontrastirt Michelangelo das männliche und das
weibliche Empfinden in schärfer bestimmter Weise. Nicht Stolz,
nicht empörtes Selbstgefühl, nicht Zorn, wie man wohl gesagt hat,
sehe ich in der Gebärde Adams: es ist ein verzweifelter, schuld-
bewusster Mensch, welcher, ohne Widerstand zu leisten, das Haupt
abgewandt ins Leere blickend, mit der Linken gleichsam das
schreckliche Gesicht (nicht das Schwert) des Engels abwehrt und,
mit einer Schmerzensgebärde der Rechten nach dem Paradiese hin,
dem unwiderstehlichen höheren Gebote folgt. Sein Wille ist ge-
brochen, selbst in seinem Schreiten verräth sich der Zwang einer
ihn treibenden Macht.
Im Manne: Verzweiflung und Resignation, in der Frau: phy-
sische Angst, Scham und erregte Aufmerksamkeit. Die Furcht
kommt in der Bewegung des Sichverkriechens in sich selber und
des Sichverbergens hinter dem Rücken Adams zum Ausdruck, die
Scham in dem Kreuzen der Arme über der Brust und in dem
krampfhaften Hineingreifen in das Haar, was den Eindruck macht,
als wolle sie sich mit ihm verhüllen. In dem durch die Erschei-
nung des Engels gefesselten, zurückgewandten Blicke mischt sich
mit der Angst vor dem Schwertstreich, der übrigens gar nicht
droht, da der Engel das Schwert in der Linken hält, eine gewisse
Neugier.
Beider Gesichtszüge sind durch den Schrecken entstellt und
gealtert — diejenigen Adams haben in der Verzerrung einen un-
angenehmen Ausdruck erhalten; die Veränderung, die sich mit Eva
vollzogen hat, ist erschreckend: das siegreiche, gewaltige Geschöpf
ist zum armen Erdenweib geworden.
Die hohe Kunst der Komposition, zu welcher einige Studien
in der Casa Buonarroti (Verz. 41, 56) und im Louvre (Verz. 505)
erhalten sind, tritt besonders in der Mitte des Freskos, in der
symmetrischen Anordnung der Arme der beiden Adamfiguren und
der Arme der Schlange und des Engels zu Tage.
 
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