DOI Artikel:
Aicher, Otl: Verplante Planungen?
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.60951#0014
haft ist es, die nachgewiesene soziale Desintegration in den
modernen Schlafstädten zur Rechtfertigung der alten Stadtstruk-
tur heranzuziehen. Schon ehe die Nachbarschaftsidee publik
war, hat man darauf hingewiesen, daß eine Schlafstadt ohne
urbanen Nucleus, ohne private und soziale Dienstleistungen,
ohne Zentren der urbanen Selbständigkeit verkümmern muß.
Wer folgert, daß die alte Stadt erhalten oder wiederhergestellt
werden muß, will die Krankheit mit ihrer Ursache heilen. In Wirk-
lichkeit war es das Festhalten an der alten Stadtvorstellung,
das die öden Vorstädte ohne Mark und Bein entstehen ließ. Man
wollte die Stadt nicht teilen und hat damit verhindert, daß die
Urbanität auch außerhalb der alten City sich entwickelt hätte.
Jetzt, nachdem auch die City zu verkümmern beginnt, macht man
die Vorstädte für den Verlust an Urbanität verantwortlich.
In Deutschland, wo man die Planung bis vor nicht allzu langer
Zeit fast ausschließlich auf die Innenstädte konzentriert hatte,
kommt der Ruf aus Amerika gerade für diejenigen Planer
nicht ungelegen, die zugleich die Zerstörung der Landschaft
beklagen. Der faktische Mißerfolg ihrer Planung, nämlich die
Zersiedlung des Landes, wird für sie zu einem moralischen
Triumph. Was außerhalb der Stadtgrenzen passierte, habe mit der
Stadt nichts mehr zu tun. Wenn also schon eine uferlose Ent-
wicklung draußen zum zivilisatorischen Chaos führte, wird man
die Rückbesinnung auf die Kernstadt wie eine Fügung mit
Dankbarkeit begrüßen. Es hätte ja genau so gut sein können,
daß unsere Planer einem öffentlichen Protest zum Opfer gefallen
wären. Sie genießen schon seit einiger Zeit nicht mehr die Würde
kultureller Unantastbarkeit.
adduce the proven social dissolution of the modern dormltory
towns as an argument in favour of the old type of urban structure.
Even before the idea of the neighbourhood unit was generally
current, it has been pointed out that a dormitory town without an
urban nucleus, without private and social Services, without
centres of urban independence, must wither into a decline.
Anyone who concludes from this that the old type of city must be
preserved or restored wants to eure the disease by means of
its cause. Actually it was the dogged adherence to the old
concept of the city which was responsible for the emergence of
these barren and soulless suburbs. The refusal to divide the
town prevented the urban type of life developing outside the
confines of the old central city. And now that the central city
itself is going into a decline, the suburbs are being made the
scapegoat for the deterioration of urban life.
In Germany planning was concentrated until not very long ago
almost exclusively on the inner cities, and the cry from America
was not unwelcome to the ears of those planners who had
at the same time been lamenting the destruction of the country-
side. The actuai failure of their planning, which has caused
the countryside to be destroyed by a rash of housing develop-
ments, is seen by them as a moral triumph. What has happened
outside the urban boundaries, they Claim, has nothing to do
with the city. And if uninhibited development outside has led
to a chaotic form of civilisation the return to the idea of a
city nucleus is welcomed as a providence. It is just as if our
planners had fallen victims to a public protest. For some time
now they have forfeited the dignity of cultural inviolability.
11.
Also Verwissenschaftlichung. Objektivierung und Entpolitisierung
der Planung?
Gesetzt den Fall, man brächte ein ideales Team von Wissen-
schaftlern zusammen, das Zugang zu allen, eine Region betref-
fenden Daten hätte. Würde auf diese Weise ein Planungskonzept
entstehen können?
Es gehört zu den Mißverständnissen, die eine Fetischisierung der
Wissenschaft mit sich bringen muß, daß nicht einmal mehr
zwischen Erkenntnis und Handeln unterschieden werden kann.
Die heutige Wissenschaftsgläubigkeit hat einen solchen Umfang
angenommen, daß man — nach der Theorie — von einem Phy-
siker annimmt, er könne Automotoren bauen. Zwischen Physik
und Technik wird kein methodischer Unterschied mehr gesehen.
Vollends die auf Quantifizierung aufgebauten Methoden der
Naturwissenschaften werden in einem heillosen Mißverständnis
bemüht, die Schwächen menschlicher Kreativität auszuschalten.
Parallel zur Erfolglosigkeit der Stadtplaner schoß eine Planungs-
statistik ins Kraut, die sich zwar zunächst mit Aussagen begnügte,
aber in zunehmendem Maß zu Prognosen überging. So weit
so gut. Aber aus der Prognose wurde auch ein Programm und
aus dem Programm eine Konzeption. Aus der Konzeption schließ-
lich ein Plan. Das Computerdesign ist auch hier etabliert.
Aber eine weiterreichende Zuständigkeit als die für Prognosen
kann eine seriöse Wissenschaft nicht übernehmen. Programme,
Zielsetzungen sind das Privileg der Politik. Man kann die
Politik nicht aus der Verantwortung entlassen, allgemeine Ziele
zu definieren und die Leitbilder der Sozialentwicklung aufzu-
stellen. Aber von einem allgemein formulierten Ziel bis zu einem
Planungskonzept ist ein weiter Weg. Ein solches zu entwickeln
liegt außerhalb der Fähigkeit der Politik. Konzeptionelles Denken
ist etwas anderes als ein analytisches Schlußverfahren, vollends
wenn es sich um Verteilung und Zuordnung im Raum handelt,
um Zuordnung von Lagen und nicht nur von Größen, um das
Verhältnis von Standorten und nicht nur von Kapazitäten.
11.
Is the solution, then, to make planning thoroughly scientific and
objective and lift it out of the field of politics? Supposing that
an ideal scientific team were assembled, with access to all the
data concerning a region, wouid they be able to produce a draft
plan?
It is one of the misconceptions resulting from the fetishization
of Science that knowledge and action can no longer be differen-
tiated. Where Science is concerned, people are so gullible
nowadays that a physicist is assumed — in theory — to be capable
of building motor-car engines. No difference of method is seen
between physics and engineering. Moreover, through a hopeless
misunderstanding, the methods of the natural Sciences, which
are based on quantification, are being used in an attempt to
eliminate the weaknesses of human creativity.
Parallel to the failure of the planners, there was an explosion
of planning statistics which first of all took the form simply of
Statements but then, and in increasing measure, changed to
forecasts. So far so good. But out of the forecasts there emerged
a Programme, and out of the Programme a conception. Out of
the conception emerged a plan. Here, too, Computer design has
established itself.
But a seif-respecting science cannot accept responsibility for
anything that goes beyond forecasting. Programmes and objectives
are the privilege of politics. Politics cannot be relieved of the
responsibility for defining general objectives and setting up the
guiding Images of social development. But it is a far cry from
a generally formulated objective to a planning draft. To develop
such a draft lies outside the capacity of science and the capacity
of politics. Creative thinking is different from an analytical pro-
cess of logical thought, particularly when it is concerned with
distribution and Organization in space, with the Organization
of locations and not only magnitudes, with the relationship of
locations and not only capacities.
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modernen Schlafstädten zur Rechtfertigung der alten Stadtstruk-
tur heranzuziehen. Schon ehe die Nachbarschaftsidee publik
war, hat man darauf hingewiesen, daß eine Schlafstadt ohne
urbanen Nucleus, ohne private und soziale Dienstleistungen,
ohne Zentren der urbanen Selbständigkeit verkümmern muß.
Wer folgert, daß die alte Stadt erhalten oder wiederhergestellt
werden muß, will die Krankheit mit ihrer Ursache heilen. In Wirk-
lichkeit war es das Festhalten an der alten Stadtvorstellung,
das die öden Vorstädte ohne Mark und Bein entstehen ließ. Man
wollte die Stadt nicht teilen und hat damit verhindert, daß die
Urbanität auch außerhalb der alten City sich entwickelt hätte.
Jetzt, nachdem auch die City zu verkümmern beginnt, macht man
die Vorstädte für den Verlust an Urbanität verantwortlich.
In Deutschland, wo man die Planung bis vor nicht allzu langer
Zeit fast ausschließlich auf die Innenstädte konzentriert hatte,
kommt der Ruf aus Amerika gerade für diejenigen Planer
nicht ungelegen, die zugleich die Zerstörung der Landschaft
beklagen. Der faktische Mißerfolg ihrer Planung, nämlich die
Zersiedlung des Landes, wird für sie zu einem moralischen
Triumph. Was außerhalb der Stadtgrenzen passierte, habe mit der
Stadt nichts mehr zu tun. Wenn also schon eine uferlose Ent-
wicklung draußen zum zivilisatorischen Chaos führte, wird man
die Rückbesinnung auf die Kernstadt wie eine Fügung mit
Dankbarkeit begrüßen. Es hätte ja genau so gut sein können,
daß unsere Planer einem öffentlichen Protest zum Opfer gefallen
wären. Sie genießen schon seit einiger Zeit nicht mehr die Würde
kultureller Unantastbarkeit.
adduce the proven social dissolution of the modern dormltory
towns as an argument in favour of the old type of urban structure.
Even before the idea of the neighbourhood unit was generally
current, it has been pointed out that a dormitory town without an
urban nucleus, without private and social Services, without
centres of urban independence, must wither into a decline.
Anyone who concludes from this that the old type of city must be
preserved or restored wants to eure the disease by means of
its cause. Actually it was the dogged adherence to the old
concept of the city which was responsible for the emergence of
these barren and soulless suburbs. The refusal to divide the
town prevented the urban type of life developing outside the
confines of the old central city. And now that the central city
itself is going into a decline, the suburbs are being made the
scapegoat for the deterioration of urban life.
In Germany planning was concentrated until not very long ago
almost exclusively on the inner cities, and the cry from America
was not unwelcome to the ears of those planners who had
at the same time been lamenting the destruction of the country-
side. The actuai failure of their planning, which has caused
the countryside to be destroyed by a rash of housing develop-
ments, is seen by them as a moral triumph. What has happened
outside the urban boundaries, they Claim, has nothing to do
with the city. And if uninhibited development outside has led
to a chaotic form of civilisation the return to the idea of a
city nucleus is welcomed as a providence. It is just as if our
planners had fallen victims to a public protest. For some time
now they have forfeited the dignity of cultural inviolability.
11.
Also Verwissenschaftlichung. Objektivierung und Entpolitisierung
der Planung?
Gesetzt den Fall, man brächte ein ideales Team von Wissen-
schaftlern zusammen, das Zugang zu allen, eine Region betref-
fenden Daten hätte. Würde auf diese Weise ein Planungskonzept
entstehen können?
Es gehört zu den Mißverständnissen, die eine Fetischisierung der
Wissenschaft mit sich bringen muß, daß nicht einmal mehr
zwischen Erkenntnis und Handeln unterschieden werden kann.
Die heutige Wissenschaftsgläubigkeit hat einen solchen Umfang
angenommen, daß man — nach der Theorie — von einem Phy-
siker annimmt, er könne Automotoren bauen. Zwischen Physik
und Technik wird kein methodischer Unterschied mehr gesehen.
Vollends die auf Quantifizierung aufgebauten Methoden der
Naturwissenschaften werden in einem heillosen Mißverständnis
bemüht, die Schwächen menschlicher Kreativität auszuschalten.
Parallel zur Erfolglosigkeit der Stadtplaner schoß eine Planungs-
statistik ins Kraut, die sich zwar zunächst mit Aussagen begnügte,
aber in zunehmendem Maß zu Prognosen überging. So weit
so gut. Aber aus der Prognose wurde auch ein Programm und
aus dem Programm eine Konzeption. Aus der Konzeption schließ-
lich ein Plan. Das Computerdesign ist auch hier etabliert.
Aber eine weiterreichende Zuständigkeit als die für Prognosen
kann eine seriöse Wissenschaft nicht übernehmen. Programme,
Zielsetzungen sind das Privileg der Politik. Man kann die
Politik nicht aus der Verantwortung entlassen, allgemeine Ziele
zu definieren und die Leitbilder der Sozialentwicklung aufzu-
stellen. Aber von einem allgemein formulierten Ziel bis zu einem
Planungskonzept ist ein weiter Weg. Ein solches zu entwickeln
liegt außerhalb der Fähigkeit der Politik. Konzeptionelles Denken
ist etwas anderes als ein analytisches Schlußverfahren, vollends
wenn es sich um Verteilung und Zuordnung im Raum handelt,
um Zuordnung von Lagen und nicht nur von Größen, um das
Verhältnis von Standorten und nicht nur von Kapazitäten.
11.
Is the solution, then, to make planning thoroughly scientific and
objective and lift it out of the field of politics? Supposing that
an ideal scientific team were assembled, with access to all the
data concerning a region, wouid they be able to produce a draft
plan?
It is one of the misconceptions resulting from the fetishization
of Science that knowledge and action can no longer be differen-
tiated. Where Science is concerned, people are so gullible
nowadays that a physicist is assumed — in theory — to be capable
of building motor-car engines. No difference of method is seen
between physics and engineering. Moreover, through a hopeless
misunderstanding, the methods of the natural Sciences, which
are based on quantification, are being used in an attempt to
eliminate the weaknesses of human creativity.
Parallel to the failure of the planners, there was an explosion
of planning statistics which first of all took the form simply of
Statements but then, and in increasing measure, changed to
forecasts. So far so good. But out of the forecasts there emerged
a Programme, and out of the Programme a conception. Out of
the conception emerged a plan. Here, too, Computer design has
established itself.
But a seif-respecting science cannot accept responsibility for
anything that goes beyond forecasting. Programmes and objectives
are the privilege of politics. Politics cannot be relieved of the
responsibility for defining general objectives and setting up the
guiding Images of social development. But it is a far cry from
a generally formulated objective to a planning draft. To develop
such a draft lies outside the capacity of science and the capacity
of politics. Creative thinking is different from an analytical pro-
cess of logical thought, particularly when it is concerned with
distribution and Organization in space, with the Organization
of locations and not only magnitudes, with the relationship of
locations and not only capacities.
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