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Ulm — Nr. 17/​18.1966

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Maldonado, Tomás: Anstöße gegen das Behagen in der Design Erziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.60951#0016
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Dieser Vortrag wurde am 5. Januar 1966
in der School of Architecture
an der Princeton University gehalten.

On January 5,1966 Tomas Maldonado gave the
following lecture at the School of Architecture
of the Princeton University.

Tomäs Maldonado
Anstöße gegen das Behagen in der Design Erziehung

How to fight Complacency in Design Education

Solange das Design als eine Kunst zu Diensten der Industrie
gefeiert wurde, als eine Tätigkeit, darauf gerichtet, Industrie-
produkte zu verschönern, war die Designerziehung — wie es
R. B. Haydon 1837 definierte — nicht mehr als eine Ausbildung für
die "niedersten Bereiche der Kunst“. Diese typisch viktorianische
Auffassung vom Design hat aus verschiedenen Gründen ihre
Aktualität verloren. Es handelt sich aber dabei nicht nur um eine
Auffassung, sondern auch — und in erster Linie — um ein
pädagogisches System — um eine bestimmte akademische Struk-
tur also, in der sich diese Auffassung ausprägte. Die gegen-
wärtige Krise in der Designerziehung wird dadurch bedingt, daß
das viktorianische pädagogische System die viktorianische Auf-
fassung überlebt hat. Die Doktrin ist verloschen, nicht aber die
Struktur. Bis heutzutage vermochte sie nichts zu erschüttern.
Ihr Kern blieb bis heute unberührt.
Die beiden folgenreichen Experimente der zwanziger Jahre
— das Bauhaus in Deutschland und das Wchutemas in Rußland —
brachten es nicht fertig, sich von den institutionellen Überresten
des 19. Jahrhunderts zu befreien. Der revolutionäre Beitrag
des Bauhauses ist in der Designerziehung zu sehen — wie sie
besonders von Gropius und Meyer formuliert wurde — und
weiterhin der Didaktik des Grundkurses — besonders wie er von
Albers und Moholy-Nagy entwickelt wurde. Man darf diesen
Beitrag nicht in den akademischen Strukturen suchen. In dieser
Hinsicht nämlich war das Bauhaus eine relativ konservative Schule;
und das gleiche kann man von Wchutemas behaupten. Die ersten
Mitglieder dieser Schule — Altman, Tatlin und Malewitsch —
forderten eine radikale Änderung der vorhandenen akademischen
Strukturen. Sie nannten das: "die Säuberung der Augiasställe“.
Doch führten diese Änderungen zu nichts anderem als zu einer
Anarchie der alten Strukturen. Wie vorauszusehen war, ließ
die Reaktion nicht lange auf sich warten; und bald war alles wie-
der beim alten, d. h. in der behäbigen Sicherheit der Augias-
ställe.
Von unserer Perspektive aus wäre es gewiß recht einfach, sowohl
das Bauhaus als auch das Wchutemas einer konservativen
Einstellung zu bezichtigen; doch wäre das ungerecht. Denn beide
konnten offenbar vor 40 Jahren sich nicht einer Sache bewußt
sein, die uns jetzt erst klar zu werden beginnt: der Unmöglichkeit,
für die Designerziehung einen neuen Weg zu eröffnen, ohne
ihre akademischen Strukturen zu revidieren. Mit anderen Worten,
ohne ein für allemal sich an "die Reinigung der Augiasställe“
zu machen.
Nichtsdestotrotz ist es angebracht, vor der anderen Gefahr zu
warnen. Wenn es wahr ist, daß einerseits eine wegweisende
Theorie der Designerziehung ohne eine entsprechende struktu-
relle Veränderung zum Scheitern verurteilt ist, dann läßt sich
andererseits deutlich sehen, daß ein struktureller Wandel ohne
eine wegweisende Theorie nicht eintreten kann. Die gegenwärtige
statische Situation der Designschulen — sowohl Amerikas als

While design was celebrated as an art at the Service of industry,
as an activity destined to embellish manufactured products,
design education was — as B. R. Haydon defined it in 1837 —
training for the “lowest branches of art“. This typically Victorian
concept of design is for various reasons, no longer relevant.
However, this was not only a concept, but also, and principally,
a pedagogic System: that is, a particular academic structure,
in which that concept was reflected. We owe the existing crisis in
design education to the fact that the Victorian pedagogic System
has outlived the Victorian concept. The doctrine has passed,
but not the structures. Nothing up to the present has been able
to shake them. In essence they remain intact.

The two important experiments of the twenties, the Bauhaus
in Germany and the Wchutemas in Russia, did not manage to free
themselves from the institutional relics of the 19th Century.
The revolutionary contribution of the Bauhaus must be looked
for in the idea of design education — especially as it was
conceived by Gropius and Hannes Meyer — and in the didactics
of the fundamental course — especially as it was developed
by Albers and Moholy-Nagy. It should not be looked for in the
academic structures. In this regard the Bauhaus was a relatively
conservative school and the same can be said of the Wchutemas.
The first men of this school — Altmann, Tatlin and Malewitsch —
demanded a radical change in the existing academic structures;
what they called “a cleaning of the Augean stables“; these
changes, however, only ended in an anarchy of the old structures.
As might be expected the reaction was not long in making itself
feit; and everything was soon back in the groove, that is to say,
back in the smug safety of the “Augean stables“.

It would no doubt be easy for our own perspective to reproach
both the Bauhaus and the Wchutemas for their conservatism,
but it would also be unfair. They obviously could not have been
aware forty years ago of what we are only now beginning to
realize: the impossibility of opening a new way for design
education without a revision of its academic structures. In other
words, without facing once and for all a “cleaning of the Augean
stables.“
Nevertheless, one must be forwarned of the opposite danger.
If it is true that, on the one hand, an excellent philosophy of design
education is doomed to fail without a corresponding structural
change, it is equally evident on the other, that no structural change
is feasible without an excellent pilosophy. The present static
condition of design schools, both in America and in Europe, can
be explained by an institutional conformism. But also, and in no

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