S. M. von Bethmann. Der Kreis des Senats. Die Masse des Bürgertums Zf
Öffentlichkeit hinaus wagte, dabei immer noch beinahe ängstlich
den familienhaft geschlosseneil Charakter zu wahren. Form und
Förmlichkeit wurden stark betont, um den Abschluß nach unteil zu
gewinnen, um den Kreis zu schließen^). So war das 1802 gegrün-
dete Kasino als Bereinigungsort der obersten Schicht gedacht.
Diejenigen, die sich mehr dem Leben des Bundestages anschlossen,
traten darum nun nicht aus — aber stärker wurde darin die zweite
Schicht, die der Senatoren und der in ihren Kreis gehörenden
Kaufmannschaft. „Solidität, nicht selten Moralität" wurden bei
der Aufnahme streng geprüft. Das erregte mannigfachen Spott,
und eine Anzahl Literaten, Bundestagsleute, Offiziere und Theater-
prinzessinnen wagten sogar eine Zeitlang die Blasphemie, ihre
sicher lebendigeren Zusammenkünfte, die eine Zeitlang jeden Freitag
im benachbarten Hanau abgehalten wurden, ironisch auch Kasino
zu nennen?).
Die große Masse des Bürgertums, die mittleren und kleineren
Handeltreibendell und die Handwerker, ebenso die Schauspieler
und Künstler schlossen sich, unbekümmert um andere, in gesonder-
ten, ganz kleinen Gruppen, den Kollegs oder Bürgervereinen zu-
sammen. Diese waren manchmal die direkte Fortsetzung der Trink-
stuben des 18. Jahrhunderts — jedenfalls erbten sie die Gemüt-
lichkeit, die Trinkfroheit, die heitere Formlosigkeit, alles das was
zwanglos heißt, wenn es gelobt werden soll. In den vielen Wein-
schenken fand man sich lustig zusammen, der Wirt war eine Art
geistiger Leiter und Vermittler. Andere wurden da nicht gern
Herangelassen, man war einander gewöhnt. Der Kreis war klein,
und ein Vorsitzender wachte über die Ordnung. Da ward gespielt,
geplaudert, gelesen, rind die hartnäckige Besprechung allgemeiner
Angelegenheiten steigerte sich wohl, als die müde Ruhe der ersten
Jahre nach dem Kriege verschwunden war, vom Nachbarschafts-
klatsch zum politischen Gespräch. Hier, in der Sphäre der wohl-
wollenden Grobheit, der derben Gutmütigkeit, der unverwüstlichen
bürgerlichen Sitz- und Trinkfestigkeit, wo das Urteil oft vorlaut,
die Meinung aber immer warmblütig war, wo leicht widersprochen
und gern großspurig geprablt wurde, hier fanden die Lokaldichter
dankbaren Stoffs). Aber gerade hier, wo die reichsbürgerliche
') „Jeder steht einzeln. Die Stufen bilden keine Treppen und die Bäume
keinen Wald", klagte Börne in seinem Briefans Frankfurt vom 3. No-
vember 1820.
0 Jügel, a. a. O. S. 91.
0 Johannes Proelß hat in seinem Buche „Friedrich Stoltze und Frank-
Öffentlichkeit hinaus wagte, dabei immer noch beinahe ängstlich
den familienhaft geschlosseneil Charakter zu wahren. Form und
Förmlichkeit wurden stark betont, um den Abschluß nach unteil zu
gewinnen, um den Kreis zu schließen^). So war das 1802 gegrün-
dete Kasino als Bereinigungsort der obersten Schicht gedacht.
Diejenigen, die sich mehr dem Leben des Bundestages anschlossen,
traten darum nun nicht aus — aber stärker wurde darin die zweite
Schicht, die der Senatoren und der in ihren Kreis gehörenden
Kaufmannschaft. „Solidität, nicht selten Moralität" wurden bei
der Aufnahme streng geprüft. Das erregte mannigfachen Spott,
und eine Anzahl Literaten, Bundestagsleute, Offiziere und Theater-
prinzessinnen wagten sogar eine Zeitlang die Blasphemie, ihre
sicher lebendigeren Zusammenkünfte, die eine Zeitlang jeden Freitag
im benachbarten Hanau abgehalten wurden, ironisch auch Kasino
zu nennen?).
Die große Masse des Bürgertums, die mittleren und kleineren
Handeltreibendell und die Handwerker, ebenso die Schauspieler
und Künstler schlossen sich, unbekümmert um andere, in gesonder-
ten, ganz kleinen Gruppen, den Kollegs oder Bürgervereinen zu-
sammen. Diese waren manchmal die direkte Fortsetzung der Trink-
stuben des 18. Jahrhunderts — jedenfalls erbten sie die Gemüt-
lichkeit, die Trinkfroheit, die heitere Formlosigkeit, alles das was
zwanglos heißt, wenn es gelobt werden soll. In den vielen Wein-
schenken fand man sich lustig zusammen, der Wirt war eine Art
geistiger Leiter und Vermittler. Andere wurden da nicht gern
Herangelassen, man war einander gewöhnt. Der Kreis war klein,
und ein Vorsitzender wachte über die Ordnung. Da ward gespielt,
geplaudert, gelesen, rind die hartnäckige Besprechung allgemeiner
Angelegenheiten steigerte sich wohl, als die müde Ruhe der ersten
Jahre nach dem Kriege verschwunden war, vom Nachbarschafts-
klatsch zum politischen Gespräch. Hier, in der Sphäre der wohl-
wollenden Grobheit, der derben Gutmütigkeit, der unverwüstlichen
bürgerlichen Sitz- und Trinkfestigkeit, wo das Urteil oft vorlaut,
die Meinung aber immer warmblütig war, wo leicht widersprochen
und gern großspurig geprablt wurde, hier fanden die Lokaldichter
dankbaren Stoffs). Aber gerade hier, wo die reichsbürgerliche
') „Jeder steht einzeln. Die Stufen bilden keine Treppen und die Bäume
keinen Wald", klagte Börne in seinem Briefans Frankfurt vom 3. No-
vember 1820.
0 Jügel, a. a. O. S. 91.
0 Johannes Proelß hat in seinem Buche „Friedrich Stoltze und Frank-