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Frankfurt vor der Revolution
von dem hochgeehrten Fräulein des Bürgerstandes zu unterscheiden,
so gut ist unser Kulturzustand edler als jener natürliche nie war
und nie sein konnte."
Die Verbrämung mit religiösem Positivismus fehlt gleichfalls
nicht — ja man könnte aus den reichlichen biblischen Zitaten und
Redewendungen den Schluß ziehen, daß der Verfasser unter der
orthodoxen Pfarrerschaft Frankfurts zu suchen sei. Schon das
Titelblattmotto heißt: „Gebet dem Kaiser was des Kaisers und
Gott was Gottes ist", und in dem auf der letzten Seite zum Teil
gedruckten „Staat und Kirche" überschriebenen Hymnus steheil die
miserablen Verse:
„Auf mein Geist und schwinge dich in jene lichten Regionen,
Wo ein Gott noch strahlet unterm ew'gen Himmelszelt u. s. w.
Keinen bessern Richter sucht für Saul euch, für Neronen!
Keinen andern bessern Richter für die Völker, für die Thronen!" —
Ich habe diese merkwürdige Schrift ausführlicher behandelt, weil
die ziemlich heftige und recht temperamentvolle Opposition den
eindringenden doktrinären Liberalismus scharf beleuchtet. Immer-
hin war doch nur ein kleiner Teil des Bürgertums davon allgesteckt H.
Die gesamte Handwerkerschaft mochte von Gewerbefreiheit natür-
lich nichts hören — wie wir später noch sehen werden. Wer wohl-
häbig und eingesessen War, wollte von vornherein nichts von Re-
formen und „Gleichheit" wissen — die geistig lebendigsten Kräfte,
die neue Juristengeneration, Ärzte, Lehrer, die kleinereu gebildeten
Handelsleute, die von auswärts hereingekommene Menge der kauf-
männischen Angestellten, die Wirte, in deren Lokalen man sich ver-
sammelte — für diesen Typus ist der Vater des Lokaldichters
Stoltze ein Beispiel —, das waren die Elemente, die sich regten
oder treiben ließen, die die Lehre verbreiteten und die Konventikel
um sich sammelten 2).
y Vergleiche damit die Stelle aus einem Brief von Frau Wohl an Börne:
„Die Frankfurter haben sich von jeher von Revolutions- und Freiheitsschwindel
nicht anstecken lassen."
H Vergleiche für das Folgende das bereits oben zitierte Buch von Johannes
Proelß, der auf Grund der Erzählungen Stoltzes aus seiner Jugendzeit und auf
Grund der von ihm zuerst benutzten Akten des Frankfurter Appellationsgerichtes
in Sachen der Gefangenen von 1833 ein anschauliches detailliertes Bild der Frank-
furter Demagogenzeit vom Anfang der Dreißigerjahre entwirft. Ich verweise
auf diese Darstellung, die nur vielleicht das Elternhaus Stoltzes zu sehr in den
Mittelpunkt der Ereignisse rückt, und glaube, auf eine Nacherzählung des Einzelnen
verzichten zu dürfen. Es kommt mir hauptsächlich auf eine Skizze des beginnenden
Liberalismus in Frankfurt an.
Frankfurt vor der Revolution
von dem hochgeehrten Fräulein des Bürgerstandes zu unterscheiden,
so gut ist unser Kulturzustand edler als jener natürliche nie war
und nie sein konnte."
Die Verbrämung mit religiösem Positivismus fehlt gleichfalls
nicht — ja man könnte aus den reichlichen biblischen Zitaten und
Redewendungen den Schluß ziehen, daß der Verfasser unter der
orthodoxen Pfarrerschaft Frankfurts zu suchen sei. Schon das
Titelblattmotto heißt: „Gebet dem Kaiser was des Kaisers und
Gott was Gottes ist", und in dem auf der letzten Seite zum Teil
gedruckten „Staat und Kirche" überschriebenen Hymnus steheil die
miserablen Verse:
„Auf mein Geist und schwinge dich in jene lichten Regionen,
Wo ein Gott noch strahlet unterm ew'gen Himmelszelt u. s. w.
Keinen bessern Richter sucht für Saul euch, für Neronen!
Keinen andern bessern Richter für die Völker, für die Thronen!" —
Ich habe diese merkwürdige Schrift ausführlicher behandelt, weil
die ziemlich heftige und recht temperamentvolle Opposition den
eindringenden doktrinären Liberalismus scharf beleuchtet. Immer-
hin war doch nur ein kleiner Teil des Bürgertums davon allgesteckt H.
Die gesamte Handwerkerschaft mochte von Gewerbefreiheit natür-
lich nichts hören — wie wir später noch sehen werden. Wer wohl-
häbig und eingesessen War, wollte von vornherein nichts von Re-
formen und „Gleichheit" wissen — die geistig lebendigsten Kräfte,
die neue Juristengeneration, Ärzte, Lehrer, die kleinereu gebildeten
Handelsleute, die von auswärts hereingekommene Menge der kauf-
männischen Angestellten, die Wirte, in deren Lokalen man sich ver-
sammelte — für diesen Typus ist der Vater des Lokaldichters
Stoltze ein Beispiel —, das waren die Elemente, die sich regten
oder treiben ließen, die die Lehre verbreiteten und die Konventikel
um sich sammelten 2).
y Vergleiche damit die Stelle aus einem Brief von Frau Wohl an Börne:
„Die Frankfurter haben sich von jeher von Revolutions- und Freiheitsschwindel
nicht anstecken lassen."
H Vergleiche für das Folgende das bereits oben zitierte Buch von Johannes
Proelß, der auf Grund der Erzählungen Stoltzes aus seiner Jugendzeit und auf
Grund der von ihm zuerst benutzten Akten des Frankfurter Appellationsgerichtes
in Sachen der Gefangenen von 1833 ein anschauliches detailliertes Bild der Frank-
furter Demagogenzeit vom Anfang der Dreißigerjahre entwirft. Ich verweise
auf diese Darstellung, die nur vielleicht das Elternhaus Stoltzes zu sehr in den
Mittelpunkt der Ereignisse rückt, und glaube, auf eine Nacherzählung des Einzelnen
verzichten zu dürfen. Es kommt mir hauptsächlich auf eine Skizze des beginnenden
Liberalismus in Frankfurt an.