M. VITRUVIUS P. BAUKUNST. i5
Angezeigt wird der Gegenstand, wovon die Rede ist; und es
zei^t denselben die, nach den Grundsätzen der Kunst davon gege-
bene, Erläuterung an. In beyden nun scheint mir derjenige geübt
seyn zu müssen, der sieh für einen Baukünsllcr ausgiebt. Ta- mufs
daher nicht allein Naturgaben, sondern auch Lernbegier besitzen;
denn weder Genie ohne Kenntnifs, noch Kenntnifs ohne Genie, kann
einen vollkommenen Künstler bilden. Er mufs fei tig mit der Feder,
geschickt im Zeichnen, der Geometrie kundig, in der Optik nicht
unwissend, in der Arithmetik unterrichtet, in der Geschichte bewan-
dert seyn, die Philosophen fleifsig gehört haben, Musik verstehen,
von Medizin Kenntnifs haben, mit der Rechtsgelehrsamkeit bekannt
seyn und die Sternkunde — astrologia ')— sauunt dem Himmels-
laufe — ratio codi — erlernt haben. Meine Gründe, warum alles
dieses so seyn müsse, sind folgende.
Fertig mit der Feder mufs ein Baukünstler seyn, um seinem
Gedächtnisse durch Kiederschreibung merkwürdiger Sachen — com-
mentarli — zu Hülfe zu kommen; des Zeichnens aber — graphis —
bedarf er, um mit Leichtigkeit allcrley Baurisse verfertigen zu können.
Die Geometrie leistet der Baukunst mancherley Hülfe: Erstlich lehrt
sie den Gebrauch des Richtscheits — eztlhygrammus — und des Zir-
kels — cìvciiws, — womit die Grundrisse der Gebäude auf das alier-
leichteste verfertiget werden ; und zweytens, die Handhabung des
AVinkelmaafses — nonna, — der Setzwage — libra. — und der
Schnur — linea. — Vermittelst der Optik erhalten che Gebäude von
den bestimmten Himmelsgegenden das ihnen gehörige Licht. Mit
Hülfe der Rechenkunst werden die Bau-Anschläge gemacht, die Be-
Schaüenheit der Maafse bestimmt und schwer anzugebende Ver-
e) Astrologia isthey den Alten soviel, dt Astronomia, De
SLcrnileuteàuust und Stciakuiidc ist neu.
Unterschied »wischen
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