Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Wagner, Christoph
Farbe und Metapher: die Entstehung einer neuzeitlichen Bildmetaphorik in der vorrömischen Malerei Raphaels — Berlin, 1999

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.4240#0307
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Raphaels Blick, auf den Menschen

ungebrochene Lokalfarbe figuriert, sondern durch die fingierte >Tesserae<-Struktur
ein Goldmosaik darstellt .

Auf die Goldapplikalionen in der Gravida treffen diese Gesichtspunkte nicht zu;
vielmehr bilden diese, zusammen mit der beschriebenen partiellen Heterogenität
der farbigen Ausführung, Spuren einer von anderer Hand an diesem Bildnis vorge-
nommenen farbigen Schlußredaktion, zu der Raphael vor seinem Wechsel nach
Rom offenbar selbst nicht mehr gekommen ist. Vor dem Hintergrund seines in den
letzten beiden Florentiner Jahren überreichen künstlerischen Schaffens scheint
Raphael gerade in der Gattung des Porträts mehrfach durch eine wenigstens parti-
elle Kooperation im Bereich der farbigen Ausführung eine arbeitsmäßige Entla-
stung gesucht zu haben.

Diese partielle Beteiligung eines Mitarbeiters berührt freilich nicht die farbige
Gesamidisposition beider Bildnisse: Niemals zuvor hat Raphael in einem seiner
Bildnisse die körperlich-räumliche Drehung einer Dargestellten so frei, wie in der
Gravida in die flächigen Wertigkeiten seiner Farbkomposition übersetzt. Und es
sind diese kunstvoll gegeneinander abgewogenen asymmetrischen Verschiebungen,
die in Verbindung mit den Helldunkelwirkungen des Lichtes die Körperlichkeit der
Dargestellten auf eigentümliche, der Bewegungsmetaphorik in den späten Floren-
tiner Madonnen verwandte (vgl. Abb. 21-22) Weise verlebendigen. Wie außerge-
wöhnlich die Erfindung der Bildgestalt der Gravida in dieser Hinsicht ist, erhellt
z. B. der Vergleich mit der altertümlich streng symmetrischen Farbordnung in dem
im Paiazzo Pitti in unmittelbarer Nachbarschaft zur Gravida ausgestellten, 1509
datierten Frauenporträt, das man gelegentlich Raphael zuschreiben wollte, das aber
wohl von Ridolfo Ghirlandaio stammt" .

Auch die Mula bleibt in dieser Hinsicht durch ihre strenger symmetrisch gefaßte
Farbkomposition, wie sie z. B. augenfällig an der weitgehend mittensymmetrischen
Verteilung der Weißbereiche an den Ärmellitzen und an der Schürze abzulesen ist,
hinter den souverän entfalteten Asymmetrien in der Gravida zurück. Auch fallen
in der Figurenbildung der Muta, gerade im Vergleich mit der sicheren räumlichen
und planimelrischen Disposition der in sich gefestigten Farbfigur der Gravida,
latente Unsicherheiten auf, wie z. B. die unorganische Torsion zwischen Unter- und
Oberkörper, oder wie die eigentümlich unausgewogene Proportion zwischen dem
groß ins Hell gerückten Kopf und dem - wenn man die Dunkelheiten genau
differenziert - überschlank in der Taille eingezogenen Körper. Daß diese unter-

•?" Detailfarbabbildung: K. Oberhuber, Raffaello, 1982, Abb. 73,75fT.

-'12 Leinwand, 61 x 47 cm, Florenz, Paiazzo Pitti, luv.: 1912, Nr. 224. Die Zuschreibung

dieses Bildnisses an RaphaelwurdevonW. Fontana (Aggi u nie a Raffaello giovane, 1987,

S. 1661.) vorgeschlagen.

504
 
Annotationen