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Walden, Herwarth
Die neue Malerei — Berlin, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.26391#0042
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auch keine Gesetze des Schwergewichts. Wa-
rum soll man ein Bild nicht auf den Kopf stel-
len können. Es hat ja keinen Kopf. Das ange-
wandte Bild dagegen ist exzentrisch. Es ent-
steht durch die spielerische Wiederholung einer
Form. Die Form muß also in sich die Möglich-
keit ihrer Wiederholung haben. Es ist keine
Frage, dass das angewandte Bild seine Entsteh-
ung dem Bilde verdankt. Von dem angewandten
Bilde fordert der Betrachter dennoch gewöhn-
lich nicht die Natürlichkeit, wie es so schön heisst-
Der Handwerker mit künstlerischem Gefühl ist
auch wenig geneigt dazu, da er eben mehr Ge-
fühl zum mindesten für das Spiel der Formen
und Farben hat, als der Kunstmaler. Nur in
Zeiten des Niedergangs des Kunstgewerbes gibt
es natürliche Motive. Wer sieht auch gern
seine Wände dauernd im Schmuck der Rosen
blühen oder Veilchen auf einer Bluse wachsen,
die durch Napoleon oder durch die Königin Lu-
ise zusammengehalten wird. Allerdings sind
manche Menschen so sehr von ihrer Individu-
alität entzückt, daß sie sie sogar in die Möbel
stecken. Das nennt sich Innenarchitektur. Man
kann eben nicht Bilder mit dem Geschmack auf-
nehmen. Das ist die Geschmacksverirrung.

Wir haben das Glück, in einer Kunstwende zu
leben. Der Materialismus als Weltanschauung
ist am Ende. Materialismus ist Erdanschauung.
Kunst Weltanschauung. Die Kunst ist nicht
mehr Nachbild. Das Bild ist wieder vorbild-
lich.

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