Einführung
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Malerei geschahen, ein politisch sehr mächtiges, ein wirtschaftlich
sehr reiches Land. Aber wir sehen nicht, was Rembrandt damit zu
tun hat. Und Tizian malte seine unsterblichsten Dinge, als Venedig
vielleicht noch reich, politisch aber schon sehr ohnmächtig war. In
einer Zeit, wo das geistige und kulturelle Leben des neueren Deutsch-
lands auf einemTiefstand von geradezu erschreckender Öde angelangt
war, in den sechziger Jahren des 19.Jahrhunderts, entstand, aller
Ungunst der äußeren und inneren Umstände zum Trotz, unter den
Händen von Wilhelm Leibi und Hans von Marees eine Kunst, die
der Kunst anderer, kulturell glücklicherer Völker ebenbürtig zur
Seite steht. Daß Deutschland eben damals anfing, politisch groß und
wirtschaftlich mächtig zu werden, hat diese Kunst innerlich nicht
gefördert und äußerlich, in der Frage ihrer öffentlichen Geltung, sie
beinahe erwürgt.
Dergleichen Tatsachen stimmen skeptisch gegenüber dem Be-
mühen, die entscheidenden Fragen der Kunst in Zusammenhang
zu bringen mit Fragen politischer, wirtschaftspolitischer, sozialpoli-
tischer, kulturpolitischer oder wie immer politischer Art. Wohl hat
es etwas Verführerisches, zu sagen, weil die französischen Republi-
kaner vom Ausgang des 18. Jahrhunderts sich wie alte Römer fühl-
ten und in der römischen Republik das ideale Vorbild für ihre ge-
träumte französische Republik sahen, deshalb oder auch nur vor-
nehmlich deshalb hätte Jacques Louis David, der Vater des franzö-
sischen Klassizismus, im Privatleben ebensosehr Revolutionsmann
wie nachher Verehrer des Imperators, eine Malerei getrieben, die in
ihren Ausdrucksformen auf die Formen der römischen Antike oder
was man dafür hielt zurückgriff. Und es ist vielleicht sogar etwas
Wahres hieran. Aber in seinen glücklichsten Stunden machte er
Dinge, die Frans Hals, in Begriff und Anschauung, nicht nur in der
Technik, näherstehen als irgendeiner antiken Kunst. Wohl kann
man auch sagen, daß die Landschafter von Barbizon die „intime
Landschaft“ erfanden, weil sie die Großstadt, dieses Ungeheuer der
modernen Zivilisation, haßten, weil sie zu wenig Himmel und zu
wenig Bäume sahen; daß also die moderne Kunst der Landschaft die
Folge der Stadtflucht, also einer immerhin sozialen Angelegenheit,
gewesen wäre. Und auch dies trifft bis zu einem gewissen Punkte zu.
Aber damit wäre noch nicht „erklärt“, weshalb Corot, der zu dieser
Gruppe von Malern gehört, und der ein viel größerer Künstler war als
sie, von solchen Gedankengängen unberührt war, und weshalb dann
Cezanne, der aus der Kleinstadt Aix en Provence stammte und bei-
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Malerei geschahen, ein politisch sehr mächtiges, ein wirtschaftlich
sehr reiches Land. Aber wir sehen nicht, was Rembrandt damit zu
tun hat. Und Tizian malte seine unsterblichsten Dinge, als Venedig
vielleicht noch reich, politisch aber schon sehr ohnmächtig war. In
einer Zeit, wo das geistige und kulturelle Leben des neueren Deutsch-
lands auf einemTiefstand von geradezu erschreckender Öde angelangt
war, in den sechziger Jahren des 19.Jahrhunderts, entstand, aller
Ungunst der äußeren und inneren Umstände zum Trotz, unter den
Händen von Wilhelm Leibi und Hans von Marees eine Kunst, die
der Kunst anderer, kulturell glücklicherer Völker ebenbürtig zur
Seite steht. Daß Deutschland eben damals anfing, politisch groß und
wirtschaftlich mächtig zu werden, hat diese Kunst innerlich nicht
gefördert und äußerlich, in der Frage ihrer öffentlichen Geltung, sie
beinahe erwürgt.
Dergleichen Tatsachen stimmen skeptisch gegenüber dem Be-
mühen, die entscheidenden Fragen der Kunst in Zusammenhang
zu bringen mit Fragen politischer, wirtschaftspolitischer, sozialpoli-
tischer, kulturpolitischer oder wie immer politischer Art. Wohl hat
es etwas Verführerisches, zu sagen, weil die französischen Republi-
kaner vom Ausgang des 18. Jahrhunderts sich wie alte Römer fühl-
ten und in der römischen Republik das ideale Vorbild für ihre ge-
träumte französische Republik sahen, deshalb oder auch nur vor-
nehmlich deshalb hätte Jacques Louis David, der Vater des franzö-
sischen Klassizismus, im Privatleben ebensosehr Revolutionsmann
wie nachher Verehrer des Imperators, eine Malerei getrieben, die in
ihren Ausdrucksformen auf die Formen der römischen Antike oder
was man dafür hielt zurückgriff. Und es ist vielleicht sogar etwas
Wahres hieran. Aber in seinen glücklichsten Stunden machte er
Dinge, die Frans Hals, in Begriff und Anschauung, nicht nur in der
Technik, näherstehen als irgendeiner antiken Kunst. Wohl kann
man auch sagen, daß die Landschafter von Barbizon die „intime
Landschaft“ erfanden, weil sie die Großstadt, dieses Ungeheuer der
modernen Zivilisation, haßten, weil sie zu wenig Himmel und zu
wenig Bäume sahen; daß also die moderne Kunst der Landschaft die
Folge der Stadtflucht, also einer immerhin sozialen Angelegenheit,
gewesen wäre. Und auch dies trifft bis zu einem gewissen Punkte zu.
Aber damit wäre noch nicht „erklärt“, weshalb Corot, der zu dieser
Gruppe von Malern gehört, und der ein viel größerer Künstler war als
sie, von solchen Gedankengängen unberührt war, und weshalb dann
Cezanne, der aus der Kleinstadt Aix en Provence stammte und bei-