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Einführung
nahe ein Landmann war und immer blieb, der Natur und der Land-
schaft ihre tiefsten Geheimnisse entriß und Landschaften malte,
neben deren monumentaler Größe jenen Landschaften der Stadt-
flüchtigen in den Wäldern von Fontainebleau und Barbizon fast
etwas wie ein Hauch von Zufälligkeit anfliegt.
Sogar bei den Künstlern des „sozialen Gedankens“, bei Daumier,
erklärt auch die genaueste Kenntnis der damaligen politischen und
sozialen Zustände nicht das Eigentliche und nicht das Wesentlichste
seiner Kunst. Er war ein Ankläger politischer und sozialer Zustände
und wollte es sein. Aber ob, was er geißelte, unter Louis Philipp oder
Napoleon vor sich ging oder irgendeiner anderen republikanischen
oder monarchischen Regierung, ist gleichgültig; ja, wenn man die
jedesmaligen Verhältnisse allzugenau kennt und allzusehr in Rech-
nung stellt, führt diese Kenntnis wieder ein wenig vorbei am Künst-
lerischen. Denn was er geißelt, waren ja nicht einmalige Dinge, so sehr
als vielmehr das Menschliche, das dahinter steht. Und dieses Mensch-
liche, menschliches Laster und menschliche Dummheit, bleiben sich
unter allen Regierungen und in allen Zeiten immer gleich. Es war
die Reibungsfläche, an der sich sein Genie entzündete. Die Rei-
bungsfläche ist immer da; es fragt sich, ob das Genie da ist. Man
kann bestenfalls den Punkt bezeichnen, an dem der Funke über-
springt. Über Wesen und Herkunft des künstlerischen Funkens
aber ist damit nichts ausgesagt.
Die Kunst folgt anderen Gesetzen, als die übrigen Äußerungen
des menschlichen Geistes und der menschlichen Natur; selbst-
geschriebenen. Im Eigentlichen ihres Schaffens ist die schöpferische
Persönlichkeit unabhängig von allen außer ihr liegenden Gesetzen.
Aber da, was sie schafft, wenn es nur groß ist, Bestand hat für die
Zukunft, so ist auch ihr Schaffen, noch so persönlich angesehen,
Geschichte. Wenn irgendwo, so ist es in der Kunst die Persönlich-
keit, die Geschichte macht. Wer das Schaffen der wirklich großen
Maler eines Zeitraumes in ihrer einzelnen Leistung sowohl wie in
ihrer heimlichen Zusammengehörigkeit einmal gefühlt hat, kennt
die ganze Malerei dieses Jahrhunderts.
Einführung
nahe ein Landmann war und immer blieb, der Natur und der Land-
schaft ihre tiefsten Geheimnisse entriß und Landschaften malte,
neben deren monumentaler Größe jenen Landschaften der Stadt-
flüchtigen in den Wäldern von Fontainebleau und Barbizon fast
etwas wie ein Hauch von Zufälligkeit anfliegt.
Sogar bei den Künstlern des „sozialen Gedankens“, bei Daumier,
erklärt auch die genaueste Kenntnis der damaligen politischen und
sozialen Zustände nicht das Eigentliche und nicht das Wesentlichste
seiner Kunst. Er war ein Ankläger politischer und sozialer Zustände
und wollte es sein. Aber ob, was er geißelte, unter Louis Philipp oder
Napoleon vor sich ging oder irgendeiner anderen republikanischen
oder monarchischen Regierung, ist gleichgültig; ja, wenn man die
jedesmaligen Verhältnisse allzugenau kennt und allzusehr in Rech-
nung stellt, führt diese Kenntnis wieder ein wenig vorbei am Künst-
lerischen. Denn was er geißelt, waren ja nicht einmalige Dinge, so sehr
als vielmehr das Menschliche, das dahinter steht. Und dieses Mensch-
liche, menschliches Laster und menschliche Dummheit, bleiben sich
unter allen Regierungen und in allen Zeiten immer gleich. Es war
die Reibungsfläche, an der sich sein Genie entzündete. Die Rei-
bungsfläche ist immer da; es fragt sich, ob das Genie da ist. Man
kann bestenfalls den Punkt bezeichnen, an dem der Funke über-
springt. Über Wesen und Herkunft des künstlerischen Funkens
aber ist damit nichts ausgesagt.
Die Kunst folgt anderen Gesetzen, als die übrigen Äußerungen
des menschlichen Geistes und der menschlichen Natur; selbst-
geschriebenen. Im Eigentlichen ihres Schaffens ist die schöpferische
Persönlichkeit unabhängig von allen außer ihr liegenden Gesetzen.
Aber da, was sie schafft, wenn es nur groß ist, Bestand hat für die
Zukunft, so ist auch ihr Schaffen, noch so persönlich angesehen,
Geschichte. Wenn irgendwo, so ist es in der Kunst die Persönlich-
keit, die Geschichte macht. Wer das Schaffen der wirklich großen
Maler eines Zeitraumes in ihrer einzelnen Leistung sowohl wie in
ihrer heimlichen Zusammengehörigkeit einmal gefühlt hat, kennt
die ganze Malerei dieses Jahrhunderts.