ACHTER ABSCHNITT
Edouard Manet
Jene Revolution, von der Courbet vermeinte, er habe sie mit
seinem Realismus vollzogen, setzte in Wirklichkeit Edouard
Manet durch. Zu seinem Lehrer Thomas Couture, einem kolori-
stisch sehr begabten Historienmaler aus der Nachfolge des Barons
Gros, sagte er einmal in aller Schärfe: „Ich male, was ich sehe und
nicht, was anderen zu sehen beliebt.“ Und der Lehrer, maßlos berühmt
durch sein großes Bild der „Römer der Verfallzeit“, verzieh dies seiner-
seits sehr berühmt gewordene Wort nicht. Der junge Mann prokla-
mierte das Recht der Individualität und verachtete die Schule. Das
Licht im Atelier schien ihm falsch und die Haltung der Modelle
schien ihm falsch, kurz, er fand, daß alles, was man lernen konnte,
unwahr und theatralisch und unnatürlich war. Seine Ideale waren
„Contemporaneite“ und „Humanite“, das Leben der Gegenwart, des
Alltages, und die Natürlichkeit im weitesten Sinne, in einem Sinne,
der Ehrlichkeit und Unverdorbenheit der Sinne, Unabhängigkeit
und Echtheit der Instinkte mit umfaßt. Gegenwart malen und sie
natürlich malen, hatte Courbet auch gewollt. Das Neue an Edouard
Manet war, daß er sich ganz rückhaltlos auf den Boden der Tat-
sachen, der weltanschaulichen Tatsachen stellte und den „Schein“,
die Erscheinungsform der Dinge für wichtiger hielt als die Dinge an
sich. Er sah die Welt im Licht, hell einfach und in großen Massen.
Aber zugleich liebte er die leuchtenden Farben und wollte nicht, daß
das Licht sie zerstöre. Er gewöhnte sich daran, die Welt im Freien
zu sehen und das milde gleichmacherische Licht des Ateliers zu ver-
gessen. Deshalb mußte er einfach und in großen Strömen malen.
Breite Bahnen von Licht setzte er gegen schwere Massen von Dunkel-
heit, und eines half dem anderen. Auch die dunkelsten Bilder von
Manet, die aus der „spanischen“ Zeit, die sehr viel Schwarz enthalten,
wirken heller, leuchtender als Courbet, und Manets „Olympia“ sieht
neben Ingres’ „Odaliske“, die doch hell auf hell steht, aus wie künst-
lich beleuchtet. So sehr reflektiert dieser Akt.
Sein Verhältnis zu Courbet zeigt, wie sehr der Meister von Omans
einer alten und wie sehr Manet einer neuen Zeit angehört. Als er
seine „Olympia“ im Atelier stehen hatte, meinte Courbet: „Das ist
Edouard Manet
Jene Revolution, von der Courbet vermeinte, er habe sie mit
seinem Realismus vollzogen, setzte in Wirklichkeit Edouard
Manet durch. Zu seinem Lehrer Thomas Couture, einem kolori-
stisch sehr begabten Historienmaler aus der Nachfolge des Barons
Gros, sagte er einmal in aller Schärfe: „Ich male, was ich sehe und
nicht, was anderen zu sehen beliebt.“ Und der Lehrer, maßlos berühmt
durch sein großes Bild der „Römer der Verfallzeit“, verzieh dies seiner-
seits sehr berühmt gewordene Wort nicht. Der junge Mann prokla-
mierte das Recht der Individualität und verachtete die Schule. Das
Licht im Atelier schien ihm falsch und die Haltung der Modelle
schien ihm falsch, kurz, er fand, daß alles, was man lernen konnte,
unwahr und theatralisch und unnatürlich war. Seine Ideale waren
„Contemporaneite“ und „Humanite“, das Leben der Gegenwart, des
Alltages, und die Natürlichkeit im weitesten Sinne, in einem Sinne,
der Ehrlichkeit und Unverdorbenheit der Sinne, Unabhängigkeit
und Echtheit der Instinkte mit umfaßt. Gegenwart malen und sie
natürlich malen, hatte Courbet auch gewollt. Das Neue an Edouard
Manet war, daß er sich ganz rückhaltlos auf den Boden der Tat-
sachen, der weltanschaulichen Tatsachen stellte und den „Schein“,
die Erscheinungsform der Dinge für wichtiger hielt als die Dinge an
sich. Er sah die Welt im Licht, hell einfach und in großen Massen.
Aber zugleich liebte er die leuchtenden Farben und wollte nicht, daß
das Licht sie zerstöre. Er gewöhnte sich daran, die Welt im Freien
zu sehen und das milde gleichmacherische Licht des Ateliers zu ver-
gessen. Deshalb mußte er einfach und in großen Strömen malen.
Breite Bahnen von Licht setzte er gegen schwere Massen von Dunkel-
heit, und eines half dem anderen. Auch die dunkelsten Bilder von
Manet, die aus der „spanischen“ Zeit, die sehr viel Schwarz enthalten,
wirken heller, leuchtender als Courbet, und Manets „Olympia“ sieht
neben Ingres’ „Odaliske“, die doch hell auf hell steht, aus wie künst-
lich beleuchtet. So sehr reflektiert dieser Akt.
Sein Verhältnis zu Courbet zeigt, wie sehr der Meister von Omans
einer alten und wie sehr Manet einer neuen Zeit angehört. Als er
seine „Olympia“ im Atelier stehen hatte, meinte Courbet: „Das ist