FÜNFTER ABSCHNITT
Camille Corot
und Jean Francois Millet
Corot dachte beim Malen nie an alte Meister und auch nie daran,
daß eine Kunst Umsturz einer anderen Kunst bedeuten könnte.
Von allen Künstlern seiner Generation gab er seine Natur am un-
mittelbarsten, ganz naiv, ganz aufrichtig nur was er sah und was er
empfand. Wenn in ihm trotzdem mehr französische Tradition leben-
dig ist als in seinen Freunden aus dem Walde, und wenn seine Kunst
trotzdem zugleich weiter in die Zukunft weist, so liegt dies an dem
Reichtum und der Organisation seiner Begabung, nicht etwa an
einem Programm. Er hatte keines. Auch war er ja nicht jünger als
die anderen, sondern älter, ein Jahr älter noch als Delacroix. Von
Natur aus weniger romantisch bestimmt als Rousseau, ist sein Schaf-
fen in höherem Sinne einmalig, nur ihm gehörig, mit nichts so zu
vergleichen, wie etwa Rousseau mit Hobbema zu vergleichen wäre.
Und zugleich weckt seine Kunst, die mit Ingres gar keine direkten
Beziehungen verbindet, tiefere Erinnerungen an Hellenisches, als
selbst die Odaliske und die Apotheose Homers. Vor einer nackten
Nymphe im Walde, die Diaz malte, denkt man, vielleicht auf dem
Umwege über Prudhon, an Correggio. Aber Corots Schwarm tan-
zender Nymphen unter Bäumen ist leichter und von aller Kunst-
geschichte unbeschwert. Während eines zweijährigen Aufenthaltes
in Rom ist Corot nie in die Sixtina gegangen, sondern immer nur in
die Landschaft. Seine Nymphen erfand er sich selber; sie waren
noch nicht geboren, ehe er nicht träumerisch in den silbrigen Nebel
blickte, der da unter den Pappeln am Weiher schwebte.
Er liebte die Natur und die Musik. Von Frauen weiß man bei ihm,
dem Unverheirateten, nichts, die Zärtlichkeit der Seele, die man ihm
zutraut, erschöpft sich, so scheint es, in seiner Kunst. Das Glück
des Anschauens, so leidenschaftlich und so schwärmerisch, hielt Di-
stanz vor den Dingen der Wirklichkeit.
Dieses Distanzhalten ist vielleicht das Element in seiner Kunst,
durch das er sich am eindringlichsten von seinen Zeitgenossen
unterscheidet. Er sah die Dinge aus größerer Ferne an, und so sehr
Camille Corot
und Jean Francois Millet
Corot dachte beim Malen nie an alte Meister und auch nie daran,
daß eine Kunst Umsturz einer anderen Kunst bedeuten könnte.
Von allen Künstlern seiner Generation gab er seine Natur am un-
mittelbarsten, ganz naiv, ganz aufrichtig nur was er sah und was er
empfand. Wenn in ihm trotzdem mehr französische Tradition leben-
dig ist als in seinen Freunden aus dem Walde, und wenn seine Kunst
trotzdem zugleich weiter in die Zukunft weist, so liegt dies an dem
Reichtum und der Organisation seiner Begabung, nicht etwa an
einem Programm. Er hatte keines. Auch war er ja nicht jünger als
die anderen, sondern älter, ein Jahr älter noch als Delacroix. Von
Natur aus weniger romantisch bestimmt als Rousseau, ist sein Schaf-
fen in höherem Sinne einmalig, nur ihm gehörig, mit nichts so zu
vergleichen, wie etwa Rousseau mit Hobbema zu vergleichen wäre.
Und zugleich weckt seine Kunst, die mit Ingres gar keine direkten
Beziehungen verbindet, tiefere Erinnerungen an Hellenisches, als
selbst die Odaliske und die Apotheose Homers. Vor einer nackten
Nymphe im Walde, die Diaz malte, denkt man, vielleicht auf dem
Umwege über Prudhon, an Correggio. Aber Corots Schwarm tan-
zender Nymphen unter Bäumen ist leichter und von aller Kunst-
geschichte unbeschwert. Während eines zweijährigen Aufenthaltes
in Rom ist Corot nie in die Sixtina gegangen, sondern immer nur in
die Landschaft. Seine Nymphen erfand er sich selber; sie waren
noch nicht geboren, ehe er nicht träumerisch in den silbrigen Nebel
blickte, der da unter den Pappeln am Weiher schwebte.
Er liebte die Natur und die Musik. Von Frauen weiß man bei ihm,
dem Unverheirateten, nichts, die Zärtlichkeit der Seele, die man ihm
zutraut, erschöpft sich, so scheint es, in seiner Kunst. Das Glück
des Anschauens, so leidenschaftlich und so schwärmerisch, hielt Di-
stanz vor den Dingen der Wirklichkeit.
Dieses Distanzhalten ist vielleicht das Element in seiner Kunst,
durch das er sich am eindringlichsten von seinen Zeitgenossen
unterscheidet. Er sah die Dinge aus größerer Ferne an, und so sehr