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VIERTER ABSCHNITT

Die Landschafter von
Fontainebleau
Der Mut zur Landschaft kam den Franzosen von den Engländern.
Während in Frankreich selbst die Landschaft so klassizistisch
beherrscht war, daß sie mit der Antike wenigstens durch Ruinen und
Lokal Zusammenhängen mußte und daneben die feine realistische
Landschaft etwa Joseph Vernets schnell in Vergessenheit geriet, ent-
wickelten die Engländer eine originale Kunst der Landschaft und
eine Landschafterschule von bedeutendem Ausmaß; eine Schule,
deren Verdienst sich nicht darin erschöpft, daß sie John Constable
möglich machte. Ob alle Franzosen von seinem großen schöpferi-
schen Teil derart tief betroffen wurden wie Delacroix, stehe dahin.
Aber sicher ist, daß sein Mut gegenüber dem Wirklichen und Hei-
matlichen menschlich auf jene Künstler wirkte, die sich dann im
Walde von Fontainebleau zur Schule von Barbizon vereinigten. Das
Natürliche und Alltägliche der Landschaft gewann Bildwert, ja die
Landschaft, nach der herrschenden Schulmeinung kein würdiger
Gegenstand in der Kunst, rückte für eine Zeitlang in den Vorder-
grund des Interesses an Malerei. Vielleicht war diese Tat mensch-
lich noch bedeutender als künstlerisch, insofern als sie den Men-
schen ein neues, starkes Naturgefühl gab, etwas, das die Menschen
des 18. Jahrhunderts nicht mehr besessen hatten. Und bei Dela-
croix, der nur wenige reine Landschaften malte, war dieses Natur-
gefühl so sehr Voraussetzung, daß man es übersah. Ohne starkes
Naturgefühl aber kann keine Kunst, mag sie zum Thema haben, was
sie will, auf die Dauer leben. Als die Engländer, mit Constable und
R. P. Bonnigton an der Spitze, im Jahre 1824 in Paris im Salon er-
schienen, war das Losungswort klar, und derfranzösische Vorläufer der
Bewegung, Georges Michel, ein Sonderling, der um Paris herum einfache
Landschaften mit Windmühlen malte, der die Bilder der holländischen
Meister des 17. Jahrhunderts restaurierte und hierbei manches lernte,
was man nicht mehr wußte, fand einen Augenblick lang aktuelles
Interesse. Er hatte getan, was die alten Holländer getan hatten:
sich die Natur einmal wieder etwas aus der Nähe angesehen.
 
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