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Waldmann, Emil
Englische Malerei — Jedermanns Bücherei: Breslau: Ferdinand Hirt, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.67371#0071
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Die Landschaftsmalerei

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Obwohl er selber für seine Kunst nur Claude Lorrain als Vorbild
gelten ließ, hat er sich lange Zeit auch an vielen anderen fremden
Mustern bereichert. Zuerst an den alten Holländern. Noch als
Zweiundzwanzigjähriger, im Jahre 1797 signiert er eine Themse-
landschaft bei Mondlicht, die sich von Aert von der Neer kaum
unterscheidet. Dann wetteifert er, in der Ansicht von Clapham-
Common, 1802 mit Constable, schließt sich aber sehr bald an Old
Crome an. Die „Sand-Bank with Gipsies“, 1809, eins der besten
Bilder seiner frühen Epoche, ist ebensowenig ohne Crome denkbar,
wie die dem gleichen Jahre entstammende „Landschaft mit Vieh
an der Tränke“ ohne das Studium Constables. Erst als ungefähr
Vierzigjähriger, nachdem er sich nebenher in seinen Interieurs auch
an David Wilkie inspiriert hatte, entdeckte er, in dankbarer Er-
innerung an frühere Berührungen mit Wilson und nach der im
„Apoll und Python“ unglücklich verlaufenen Auseinandersetzung
mit Nicolas Poussin, die Kunst Claude Lorrains für sich. Und dieser
Stil nun führt ihn auf die größte Höhe, die seiner Kunst erreichbar
war. Oft ist er dem Vorbild zu nahe, oft übertreibt er es, oft macht er
Claudes Farbenharmonien bunt und aufregend. Aber in besonders
glücklichen Stunden, in Italien meistens, gelingen ihm Bilder von
ganz großer persönlicher Prägung und von höchster Schönheit in
der Gestaltung des Räumlichen und von kostbarstem Reichtum
der Farbe. Die „Bucht von Bajae mit Apollo und der Sibylle“
von 1823 und, noch schöner, die „Ansicht von Orvieto“ von 1830,
sind Meisterwerke. Weite des Blickes mit klarer Raumgestaltung,
Reichtum von Licht und Schatten in weiser Abstufung und rhyth-
misch abgewogener gegenseitiger Verschlingung, reines leuchtendes
Kolorit unter goldnem Dunst, und dabei im einzelnen eine Farbig-
keit von zartestem Reiz, juwelenhaft funkelnd mit Smaragd und
Rubinrot in den Figuren, heimlich schwingend in den Kontrasten
von Orange und Krapplack, von dunklem Grün und tiefem Blau in
den Bäumen. Hier lebt in großer Form das malerisch Beste wieder
auf, was Wilson und Old Crome als Maler gegeben hatten, und Claude
Lorrain war hier nicht mehr Objekt von Nachahmung, sondern zu
neuem Leben entstandenes, mit neuen Mitteln verwirklichtes Ideal.
Dann aber berauscht sich der alternde Meister an seiner Farbe und
seinem Licht so sehr, daß er am Ende die Welt, die gesehene wie
die geträumte, nur noch als Farbe und Licht sieht und immer mehr
und mehr vergißt, was diese Ausdrucksmittel in Wirklichkeit aus-
drücken. In dem großen „Konstantins-Bogen in Rom“ von 1839
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