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Vierter Abschnitt
kommen, trotzdem das Bild noch gut gebaut ist, die ungebrochen
gegeneinander gesetzten reinen Farben, das Chromgelb, das Zin-
noberrot und das Orangerot, schon in Konflikt mit dem scharfen
Blau, und wenn er dann noch sein reines Arsenikgrün, die Lieblings-
farbe seines Alters, hinzunimmt und so mit dem ganzen Aufwand
seines Farbenorchesters lärmt, zerreißt er alle Harmonien und ver-
liert die Führung aus der Hand.
Er war ein Spintisieret der Farbe und dachte offenbar krampf-
haft nach über die „Sinnlich-sittliche Wirkung“ und über die Sym-
bolik der Farbe. Die vier als Zyklus gedachten Bilder von Licht
und Schatten, Krieg und Frieden sind verunglückte Experimente,
trotzdem wenigstens das eine von ihnen, das Seebegräbnis des bei
Gibraltar auf einer Rückreise aus dem Orient gestorbenen David
Wilkie, im einzelnen malerisch sehr schöne Stellen aufweist. Der
„Engel in der Sonne“ aber, von 1846, wo chromgelbe und zinnober-
rote Flecken um ein Lichtzentrum kreisen, hat nicht einmal den
Reiz einer Farbenskizze aus der Tiepolo-Schule, der er äußerlich
im ersten Augenblicke ähnlich sieht.
Wenn Turner sich in dieser letzten, von einem fieberhaften Rausch
des Schaffens geschüttelten Periode an einen bestimmten Grad von
wenn auch nur geträumter Wirklichkeit hält, wie in den Bildern
aus Venedig, etwa „Sun of Venice“ und „Returning from the Ball“
oder in den Bildern der Elemente „Dampfer im Schneesturm“ und
„Dampf, Schnelligkeit und Regen“ (das Eisenbahnbild), verwirk-
licht er seine Visionen glücklicher und sagt Dinge voraus, die dann
der französische Impressionismus, allerdings auf gediegenere und
künstlerisch harmonischere Art, ein Menschenalter später zu wirk-
lichen Bildern gestaltete, in den farbigen Londoner Nebeln Claude
Monets, in seinen irisierenden Rivieralandschaften und in Renoirs
bei aller Traumwahrheit so „gesehenen“ venezianischen Capriccios.
Turner empfand, was im Anfang des Jahrhunderts Phillipp Otto
Runge damit gemeint hatte, daß die Aufgabe der neuen Malerei
sein müsse die „Darstellung von Licht, Luft und bewegendem Leben
durch die Farbe“ und wie Runge, berührte er sich leidenschaftlich
mit Goethe. Er machte in seinen späteren Jahren die Atmosphäre
zum ausschließlichen Helden seiner Bilder. Aber sehnsüchtig wie
er war, tat er es in zu ausschließlichem Sinne, und wenn er fühlte,
daß er die Dinge der Sichtbarkeit nicht genügend meisterte, rettete
er sich in das unkontrollierbare Reich der Phantastik und malt in
demselben Jahre 1845, wo seine venezianische „Rückkehr vom Ball“
Vierter Abschnitt
kommen, trotzdem das Bild noch gut gebaut ist, die ungebrochen
gegeneinander gesetzten reinen Farben, das Chromgelb, das Zin-
noberrot und das Orangerot, schon in Konflikt mit dem scharfen
Blau, und wenn er dann noch sein reines Arsenikgrün, die Lieblings-
farbe seines Alters, hinzunimmt und so mit dem ganzen Aufwand
seines Farbenorchesters lärmt, zerreißt er alle Harmonien und ver-
liert die Führung aus der Hand.
Er war ein Spintisieret der Farbe und dachte offenbar krampf-
haft nach über die „Sinnlich-sittliche Wirkung“ und über die Sym-
bolik der Farbe. Die vier als Zyklus gedachten Bilder von Licht
und Schatten, Krieg und Frieden sind verunglückte Experimente,
trotzdem wenigstens das eine von ihnen, das Seebegräbnis des bei
Gibraltar auf einer Rückreise aus dem Orient gestorbenen David
Wilkie, im einzelnen malerisch sehr schöne Stellen aufweist. Der
„Engel in der Sonne“ aber, von 1846, wo chromgelbe und zinnober-
rote Flecken um ein Lichtzentrum kreisen, hat nicht einmal den
Reiz einer Farbenskizze aus der Tiepolo-Schule, der er äußerlich
im ersten Augenblicke ähnlich sieht.
Wenn Turner sich in dieser letzten, von einem fieberhaften Rausch
des Schaffens geschüttelten Periode an einen bestimmten Grad von
wenn auch nur geträumter Wirklichkeit hält, wie in den Bildern
aus Venedig, etwa „Sun of Venice“ und „Returning from the Ball“
oder in den Bildern der Elemente „Dampfer im Schneesturm“ und
„Dampf, Schnelligkeit und Regen“ (das Eisenbahnbild), verwirk-
licht er seine Visionen glücklicher und sagt Dinge voraus, die dann
der französische Impressionismus, allerdings auf gediegenere und
künstlerisch harmonischere Art, ein Menschenalter später zu wirk-
lichen Bildern gestaltete, in den farbigen Londoner Nebeln Claude
Monets, in seinen irisierenden Rivieralandschaften und in Renoirs
bei aller Traumwahrheit so „gesehenen“ venezianischen Capriccios.
Turner empfand, was im Anfang des Jahrhunderts Phillipp Otto
Runge damit gemeint hatte, daß die Aufgabe der neuen Malerei
sein müsse die „Darstellung von Licht, Luft und bewegendem Leben
durch die Farbe“ und wie Runge, berührte er sich leidenschaftlich
mit Goethe. Er machte in seinen späteren Jahren die Atmosphäre
zum ausschließlichen Helden seiner Bilder. Aber sehnsüchtig wie
er war, tat er es in zu ausschließlichem Sinne, und wenn er fühlte,
daß er die Dinge der Sichtbarkeit nicht genügend meisterte, rettete
er sich in das unkontrollierbare Reich der Phantastik und malt in
demselben Jahre 1845, wo seine venezianische „Rückkehr vom Ball“