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ZWEITER ABSCHNITT

William Hogarth
William Hogarth bedeutet für die englische Malerei, was Lessing
für die deutsche Literatur bedeutet: Befreiung von der Fremd-
herrschaft. Nicht nur in seinen Werken, den Gemälden und Stichen,
sondern auch in seinen Schriften und in seinen mündlichen Äuße-
rungen predigte er den Haß gegen alles Ausländische, und dies ward
ihm von seinen so international gesinnten Landsleuten schwer ver-
dacht. Als Mann aus dem Volke war er von einer wütenden Ver-
achtung gegen alles Modische, gegen Moije schlechthin, besessen und
als Sohn eines durchaus bürgerlich gewordenen Zeitalters verlangte
er nach einer bürgerlichen Kunst, nach einer Kunst, die sich das
wirkliche Leben zum Gegenstand nimmt. Während die anderen
mit holländischen Mitteln malten, forderte er eine Kunst-Gesin-
nung, wie sie die Holländer des großen, vergangenen Jahrhunderts
beseelt hatte: Ehrlichkeit und Demut vor der Natur, vor dem
Natürlichen. Auch vor dem Sammeln fremder Kunstwerke machte
sein nationaler Zorn nicht halt: Als im Jahre 1737 in London eine
große, aus dem Süden importierte Aktdarstellung, eine Venus,
ebensoviel Aufsehen wie Bewunderung erregte, schrieb er unter
dem Pseudonym „Britophil“ an eine Londoner Zeitung, diese
„grand Venus“ hätte nicht soviel Schönheit wie der Charakter einer
englischen Köchin. Man glaubt Courbet zu hören mit seinem
Wahlspruch: ,,le vrai c’est le beau“. Und er hatte recht, tausend-
mal recht in seiner Zeit und in seinem Lande. Jede Kunst muß
national sein oder muß, um lebensfähig zu bleiben oder zu werden,
zu irgendeinem Zeitpunkt, mag ihre internationale Lehrzeit so
lang oder so kurz sein wie sie wolle, lernen, national zu empfinden.
Bei dem, was Hogarth unternahm, handelte es sich nicht um die
in seinem Jahrhundert anderenorts so leidenschaftlich gepredigte
Rückkehr zur Natur; denn da war die englische Kunst noch gar
nicht gewesen. Sondern es handelte sich um die Entdeckung des
Natürlichen überhaupt. Um eine Kunst, die alle ihre Kräfte aus
dem Leben, aus der Wirklichkeit, ja aus dem Aktuellen zog. Mochte,
wenn es anders nicht zu leisten war, dieser Sinn für das Aktuelle
zur Tendenzkunst führen.
 
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