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(Bdwin ßormann.
1851—1912.
Am 3. Mai 1912 ist in Leipzig der Humorist und Gelehrte Edwin Bormann
gestorben. Er gehörte zu den eigenartigsten Persönlichkeiten im literarischen
Leben Leipzigs, war er doch auf der einen Seite der humorsprudelnde Poet, der
Klassiker der sächsischen Dialektdichtung und auf der anderen Seite der ernste
Forscher, der kühne und unermüdliche Vorkämpfer der Bacon-Shakespeare-Theorie.
Bormann wurde am 14. April 1851 in Leipzig als Sohn eines angesehenen
Kaufmanns geboren. Nach dem Besuche der Bürgerschule und des Realgym-
nasiums bezog er 1867 das Polytechnikum zu Dresden; doch bald zrcang ihn
seine zarte Gesundheit, den Plan Architekt zu werden aufzugeben. Nachdem
er an den Universitäten Leipzig und Bonn Naturwissenschaften, Kunstgeschichte,
Germanistik und Philosophie studiert hatte, blieb er dauernd in seinem geliebten
Leipzig. Hier führte er ein anspruchsloses Leben als Dichter und Privatgelehrter,
hier starb er auch nach halbjährigem Kranksein, bis zuletzt mit mancherlei
Arbeiten und Plänen beschäftigt.
Bormann war ein weichherziger, friedliebender, guter Mensch, ein heiterer
Plauderer, begabt mit einem sonnigen Humor, der nie verletzte, selbst wenn
er in derbe Satire überging. Meisterhaft verstand er es, die Pointe eines
Witzes herauszuarbeiten. Mit einem gediegenen Wissen verband er eine unge-
wöhnliche Beherrschung der Form; diese und sein musikalisches Talent befähigten
ihn, wirklich sangbare Lieder zu schaffen. Ein bemerkenswerter Charakterzug
Bormanns ist die Pietät, mit der er Erinnerungszeichen an seine Familie, ihre
Vorfahren und ihre Heimat, besonders Leipzig, sammelte. Das Ergebnis seiner
unermüdlichen familien- und stadtgeschichtlichen Forschungen sind nicht nur eine
Reihe von Ahnentafeln und Stammbäumen, sondern auch eine Familienchronik
über 26 Generationen und eine noch unveröffentlichte Baugeschichte des alten
Leipziger Rathauses
Das erste Buch, das ihn in weiteren Kreisen bekannt machte, war eine Samm-
lung von 40 humoristischen Dichtungen in Leipziger Mundart, betitelt: „Mei
Leibzig low' ich mir". Bormanns erfolgreiches Streben, den Dialekt seiner
Heimatstadt rein und treffend wiederzugeben, ist oft lobend anerkannt worden;
ein Vergleich seiner in Leipziger Mundart verfassten Werke mit der sogenannten
Bliemchen-Literatur zeigt, wie viel höher erstere nach Form und Inhalt
stehen. Die zahlreichen feinen Dichtungen des „Alten Leipzigers" und eine
grosse Reihe von humoristischen Erzählungen, unter denen besonders die des
„Herrn Engemann" zu nennen sind, haben in der Folgezeit durch ihre köstliche
Komik allenthalben ihrem Verfasser zu grosser Beliebtheit verholfen. Nicht
nur Humoristen wie Scheffel, Busch, Stieler u. a. zollten ihm ihre Anerkennung,
sondern auch Männer wie Heyse, Freytag, Dahn und Ebers gehörten zu den
Liebhabern seiner Schnurren und Schelmereien. Dass der Dichter etwa 30 Jahre
lang einer der beliebtesten Mitarbeiter der „Fliegenden Blätter" gewesen ist,
dürfte allgemein bekannt sein.
Ferner schuf Bormann ein heiteres Kinderbuch in Reimversen, übersetzte in
seinem „Klinginsland" Gedichte aus dem Mittelhochdeutschen, schrieb den Text
zu mehreren Opern, dichtete eine ganze Reihe bühnenwirksamer Komödien,
Schwänke und Lustspiele, zahllose Fest- und Tafellieder für Gelegenheiten aller
 
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