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Weisbach, Werner
Der junge Dürer: drei Studien — Leipzig, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.29149#0015
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Dürer und die deutsche Kunst des 15. Jahrhunderts.

Hrei Faktoren haben besonders auf die Jugendentwicklung Albrecht Dürers ein-
gewirkt: die heimatliche Nürnberger Kunst, Schongauer und Italien.

Durch und durch gotisch war der Charakter der Stadt, in welcher er auf-
wuchs. Die Hauptkirchen, Sankt Sebald, Unser lieben Frauen und St. Lorenz, trugen
ein gotisches, zum großen Teil spätgotisches Gepräge. Was sich noch von romanischen
Bestandteilen erhalten hatte, trat ganz hinter den gotischen zurück. Eine gewisse
Nüchternheit haftet dieser fränkischen Gotik an. In bezug auf Phantasiereichtum,
Fülle und Geschmack des Details kann sie sich mit dem Westen nicht messen.

In der Plastik bekundet sich auf den Wegen, die sie im Laufe des 15. Jahr-
hunderts betrat, — nach dem Aufgeben des monumental-dekorativen mittelalterlichen
Stils und Übergehen zu einer realistischeren Anschauung — in der ganzen Formgebung
ein plumpes, spießbürgerliches Wesen. Die männlichen Figuren sind vierschrötig, un-
frei in ihren Bewegungen, nicht selten brutal und grotesk in der Art sich zu
äußern. Bei den Frauen sucht man sich zuweilen durch eine affektierte Grazie zu
entschädigen. Der Faltenwurf ist voll Unruhe und Verworrenheit mit scharfen
Brüchen, harten Kanten, knitterigen Draperieen. Der Sinn für die Fläche scheint
verloren gegangen. Es besteht eine Vorliebe für krause, verschnörkelte Linien. Eine
dieser Kunst innewohnende Kraft ist unverkennbar. Und es gibt unter den
Skulpturen einzelne, die ihrer Qualität nach das allgemeine Niveau überragen. In
Adam Krafft und Veit Stoß findet die Richtung dann nach verschiedenen Seiten ihren
höchsten Ausdruck. Veit Stoß trat mit einer neuen Beweglichkeit und schwungvoll
sich gebärdenden Erregung auf. — Da Dürer, ehe er Maler wurde, zum Goldschmied
bestimmt, bei dem Vater den ersten Unterricht erhielt, so wird er sich in diese
plastische Formenwelt zunächst schon als Knabe wohl gründlich haben einleben
müssen.

Die Nürnberger Malerei hatte zu der Zeit — seit der Epoche, wo sie als
eigentliche illusionistische Tafelmalerei sichtbarlich hervortritt eine etwa achtzig-
jährige Entwicklung hinter sich. Lange war es her, seit sie den trecentistischen
Idealismus, wie er durch die erste bedeutende künstlerische Persönlichkeit, den Meister
des Imhofschen Altars, vertreten wurde, verlassen hatte. Von der sanften, beschau-
lichen Art der Gestalten, dem melodischen Fluß der Gewandung rettete sich kaum etwas
 
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