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Weisbach, Werner
Der junge Dürer: drei Studien — Leipzig, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.29149#0075
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61

Siedlung in Nürnberg hat also die italienischen Reminiszenzen Dürers höchstens wieder
aufgefrischt, von neuem in Fluß gebracht und nach der einen oder anderen Seite An-
regungen geboten.1)

Auf Grund solcher Erwägungen mag man dann die Stelle in dem Brief an
Pirckheimer von der zweiten italienischen Reise getrost auf Barbari beziehen. Pirck-
heimer war doch auch kein Seher und Gedankenleser und mußte sich unter dem
„Ding das mir vor eilf Joren so wol hat gefallen“ irgend etwas vorstellen können.
Was — das kann nur der Zusammenhang in den gewiß recht salopp vorgebrachten
Äußerungen ergeben. Da plaudert nun Dürer von seinen Freundschaften und Feind-
schaften in Venedig, erzählt von Giovanni Bellini, er sei sehr alt und noch der best
im Gemäl. Darauf folgt die Stelle: „Und das Ding, das mir vor eilf Joren so wol hat
gefallen, das gefällt mir itz nüt mer. Und wenn ichs nit selbs säch, so hätt ichs keinem
Anderen gelaubt.“ Und dann fährt er fort: „Auch laß ich Euch wissen, daß viel
besser Moler hie sind weder daussen Meister Jacob ist.“ Auf das Vorhergehende
(Bellini) kann sich „das Ding“ nicht beziehen, muß also wohl mit dem nachfolgenden
Barbari-Passus in irgend einem gedanklichen Zusammenhang stehen. Und das ergibt
einen Sinn, sobald man die Hauptanregung durch Barbari nicht, wie Thausing, in die
eben verflossenen Jahre 1501—1504 setzt, sondern in die Mitte der neunziger Jahre.
Es würde dann heißen: Was ich vor elf Jahren an Barbari (und den anderen Italienern)
hier bewundert habe, macht jetzt keinen Eindruck mehr auf mich. Das ist für mich
ein überwundener Standpunkt. Und das konnte Dürer in der Tat damals sagen.

Figuren, wie Barbari sie uns hinterlassen hat, hatte er auf Grund seiner eigenen
Proportionsstudien und eines nach dem Anfang des 16. Jahrhunderts anhebenden
eifrigen Modellstudiums weit überholt. Den Geschmack an den Mythologieen klassisch-
romantischen Genres hatte er verloren. Das bildete, nach dem Material von ihm er-
haltener Arbeiten zu schließen, während der zweiten venezianischen Reise für ihn
keinen Anziehungspunkt mehr. Er war damals für anderes gestimmt und scheint für
die antikisierende Phantastik keinen Sinn mehr gehabt zu haben. Etwas dergleichen
dürfen wir vielleicht auch aus der bekannten Stelle in dem Venezianischen Brief an
Pirckheimer vom 18. Aug. 1506 herauslesen: „Item der Historien halben sieh ich nix
Besunders, das die Walchen machen, das sunders lustig in Euer Studiren wär. Es
ist umer das und das ein. Ihr wißt selber mehr weder sie molen.“ — Er wird
sich damals wohl auch nicht sehr darum bemüht haben. Das klingt recht verdrossen.

Jedenfalls spielt das mythologische Genre in der Weise, wie er es im Anschluß
an die Italiener gepflegt hatte, keine Rolle mehr in der Zeit der Reife. Er sah später
selbst als bezeichnend für seine Jugend an, daß er ungeheuerliche und ungewöhnliche
Gestalten geliebt habe (se adolescentem in pingendo amasse monstrosas et inusitatas
figuras).2) Das war eine Episode der Sturm- und Drangzeit.

*) Daß Dürer damals von Barbari die Perspektive gelernt haben soll, dafür gibt es gar
keine Beweise.

3) Als Ausspruch Dürers in einem Brief Melanchthons an Hardenberg. Thausing II, 285. Die
Antithese der Naturbetrachtung hier ebenso wie in dem Brief an Georg von Anhalt. Vgl. Schluß der
dritten Studie.
 
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